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WAZ: Die EU wird 50 Jahre alt: Ein historisch einmaliger Fortschritt - Leitartikel von Knut Pries

Essen (ots)

In der gängigen Erzählung ist die EU eine
Veranstaltung, die in den 50 Jahren ihres Bestehens mit einem 
stetigen Schwund an guter Laune zu kämpfen hatte. Die Gründerväter, 
heißt es, seien sich erstens einig gewesen und hätten zweitens ihren 
Enthusiasmus breit ins Publikum getragen.
Das ist eine herzerwärmende Erzählung, aber keine ganz richtige. 
Auch die Gründung der EWG war schon von den unterschiedlichen 
Interessen begleitet, die bis heute das Werk der Einigung zu einem 
mühsamen Geschäft machen. Die Franzosen setzten durch, dass neben der
EWG ein Verbund zur Förderung der Atomwirtschaft ins Leben gerufen 
wurde und sorgten für stärkere Berücksichtigung dessen, was heute 
"das europäische Sozialmodell" heißt.
Die Briten blieben zunächst außen vor und versuchten sich am 
Konkurrenzunternehmen einer Freihandelszone. Um so höher ist zu 
veranschlagen, was die Festbotschaft in die feierlichen Worte 
kleidet: "Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind zu 
unserem Glück vereint." Ein guter Merksatz. Er stimmt in beiden 
Teilen seines Doppelsinns. Er stimmt als Befund: Die erreichte 
Einigung, vor allem die Überwindung der Ost-West-Spaltung, ist ein 
historisch einmaliger Fortschritt.
Das Wort vom Glück stimmt aber auch als Auftrag. Es bezeichnet 
die Bestimmung des Projekts: Sinn und Zweck all dessen, was wir als 
"Brüssel" kennen und oft beschwerlich finden, ist das Glück der 
Bürger dieses Kontinents. Gemeinsamkeit ist das einzig taugliche 
Mittel, den Anspruch gegen rivalisierende Konzepte zu behaupten.
Richtig ist allerdings auch, dass die Gemeinsamkeit mit der 
großen europäischen Gebietsreform, der Eingemeindung des vormaligen 
Ostblocks, auf eine nie dagewesene Belastungsprobe gestellt wird.
In den neuen Mitgliedsländern wird das Glück, das man hatte, und 
das Glück, das man sucht, in erster Linie unter der Adresse Nato/USA 
vermutet. Die EU ist als Warenhaus für zusätzliche Bestellungen 
willkommen, nicht als natürliche politische Heimat der eigenen 
Identität. Die fromme Hoffnung, die Neuen würden mit besonderem 
Engagement die Einigung vorantreiben, hat sich nicht erfüllt.
Die Berliner Erklärung präsentiert den Geist der Gemeinsamkeit 
gefestigter als er ist. Ob er robust genug ist, die große Union so zu
tragen wie einst die sechs Gründerstaaten, wird sich nun bei den 
Beratungen über die Verfassung erweisen.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Thomas Kloß
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de

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