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WAZ: Forderung nach neuen Gesetzen: Gesellschaft im Verbotsrausch - Leitartikel von Angela Gareis

Essen (ots)

Einmal davon abgesehen, dass es freudlos ist,
Menschen das Leben kurz und klein zu verbieten: Es ist 
lebensgefährlich. Wenn eine Gesellschaft sich dem Verbotsrausch 
hingibt, hört sie auf, selbstständig zu denken, Verantwortung zu 
übernehmen und neue Ideen zu entwickeln.
Am Beispiel Jugend und Alkohol lässt sich das einfach nachweisen.
Im Schrecken über das Komasaufen wird reflexhaft die Forderung 
erhoben, Alkohol für Jugendliche bis zur Volljährigkeit zu verbieten.
Ins Koma saufen sich aber oft Kinder unter 16, die ohnehin keinen 
Alkohol kaufen dürfen. Eine Verschärfung der Gesetze bewirkte also 
hauptsächlich das trügerische Gefühl, alles für das Jugendwohl getan 
zu haben. Die Kinder saufen weiter. Die entscheidenden Fragen, welche
Kinder das tun, warum sie das tun und wie man klug mit den Ursachen 
umgehen kann, werden weder gestellt noch beantwortet.
Die meisten Verbotsfantasien zielen auf eine fragwürdige 
Perfektion von Menschen. Killerspiele, Fast Food, Fernsehen, Rauchen,
Risiko-Sportarten: Alles, was gewalttätig, dick, doof oder krank 
machen könnte, gerät nahezu gleichrangig immer wieder in den Blick 
der Weltverbesserer. Hinter der übertriebenen staatlichen Fürsorge 
steht der riskante Gedanke, das Leben von Menschen zu ihrem Besten 
uniformieren zu wollen. Die Folgen können auf etwas längere Sicht 
katastrophal sein. Gewalttätige wurden schon in der Vergangenheit 
bestraft. Werden aber in einer unschönen neuen Welt der Zukunft auch 
Dicke, Doofe und Kranke bestraft? Gerade ein Land, das in 
historischer Verantwortung selbstkritisch auf seine Fähigkeit zur 
Toleranz achten muss, darf der Diskriminierung durch Verbote keinen 
Vorschub leisten.
Die Gründe für eine zunehmende Verbotspolitik sind eigentlich 
leicht zu durchschauen. Die Globalisierung raubt der Politik in den 
Nationalstaaten immer mehr Gestaltungskraft. Jede Regierung teilt 
sich die Macht mit hoch mobilem Kapital. Unternehmen suchen sich 
Standorte, wo sie wenig Steuern zahlen und billige Arbeitskräfte 
finden. Der Staat verliert Geld und Arbeitsplätze. Gerade Deutschland
hat sich an die positiven Steuerungsinstrumente des Staates wie 
Eigenheimzulage oder Pendlerpauschale gewöhnt. Heute sind sie kaum 
mehr bezahlbar. Verbote dagegen kosten nichts. Wohnt ihnen sogar ein 
pädagogischer Ansatz inne, verlassen sich Politiker im Kampf um 
parteipolitische Macht gern auf die gefühlten Mehrheiten des Moments.
Komasaufen? Alkoholverbot. Für den Moment fühlt man eine Mehrheit 
hinter sich.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Thomas Kloß
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de

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