Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Ruhrfestspiele und Triennale: Mut und besondere Talente - Leitartikel von Gudrun Norbisrath
Essen (ots)
Das Ruhrgebiet und die Kultur, das ist eine starke Geschichte. Vielleicht eine unendliche, jedenfalls eine große und gute, und mit einer glänzenden nächsten Zukunft.
Das Ruhrgebiet und die Kultur, das sind in besonderer Weise die über 60-jährigen Ruhrfestspiele mit ihrem wunderbaren Gründungsmythos: Recklinghausen schickt Kohle ans frierende Hamburger Schauspiel, die dankbaren Künstler revanchieren sich mit Theater. Wäre es nicht genau so passiert, man hätte es erfinden müssen, spätestens für die Kulturhauptstadt.
Die Kultur hatte, das zur Erinnerung, natürlich schon ein paar Tage Tradition im Revier, als die Hamburger Theaterleute kamen. Aber es war eine bürgerliche Kultur; die Ruhrfestspiele wollen etwas anderes. Und sie schaffen es, auch wenn's mal rappelt im Karton. Frank Castorf, der mit Schimpf und Schande verjagte vorletzte Intendant, hat alles Mögliche gemacht, nur kein Theater für Bürger. Das war sensationell und hätte ein dauerhafter Gewinn für die Region werden können, war aber eine Spur zu radikal, um schnell erfolgreich zu sein.
Castorfs Nachfolger Frank Hoffmann hat nach einem sehr biederen Start vor zwei Jahren schnell begriffen, dass Theater die Mischung braucht. Alles ist gut, solange das Populäre das Anspruchsvolle mitfinanziert. Hoffmann ist es bravourös gelungen, das Publikum zu gewinnen, die Auslastung seiner Ruhrfestspiele ist traumhaft und durch die gewerkschaftliche Verankerung gehen in Recklinghausen mehr Menschen aus bildungsfernen Schichten ins Theater als irgendwo anders. Allein das ist ein Wert, und Hoffmann ist es darüber hinaus gelungen, das Festival zu einer respektablen Kunstschau zu entwickeln.
Der Chef des zweiten großen Festivals, der Ruhr Triennale, ist in einer anderen, äußerst schwierigen Situation. Einerseits steht er glänzend da, Jürgen Flimm ist auch emotional im Ruhrgebiet angekommen, sein neues Programm ist in seiner kreativen Vielfalt Aufsehen erregend. Allein, dass er den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert gewinnen konnte, mit ihm zusammen einen Literaturabend zu gestalten, ist ein Coup. Das macht neugierig und glücklich.
Aber für Flimm ist mit dem Freitod von Marie Zimmermann auch eine sorgenvolle Zeit angebrochen; trotz seiner Verpflichtung bei den Salzburger Festspielen muss er sich nun auch für das Fortbestehen der Ruhr Triennale einsetzen. Flimm sieht das selbst so, es steht zu viel auf dem Spiel. Die Triennale darf nicht scheitern.
Wer immer hier einspringt, er muss Mut und besondere Talente haben. Aber er sollte wissen: Das Ruhrgebiet kann sehr zäh sein. Auch im anhaltenden Dank.
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