Aussetzen der Telematikinfrastruktur ist klare und dringliche Forderung der Ärztinnen und Ärzte
Essen (ots)
Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft (FÄ) macht nach der missglückten Einführung der Telematikinfrastruktur (TI) im deutschen Gesundheitswesen klar, dass sich die Ärzteschaft deutlich für eine grundlegende Revision des Projekts ausgesprochen hat. "Die dazu gefassten Beschlüsse des 125. Deutschen Ärztetages vom 1. und 2. November in Berlin sind ein unmissverständliches Signal an die Politik und an die Gematik als Betreiberorganisation der TI. Vor allem Minister Spahn sollte daraus jetzt die richtigen Schlüsse ziehen", sagte Dietrich am Donnerstag in Essen.
Die Delegierten des Ärztetages fordern ein Moratorium für die weitere Einführung der TI in der vorhandenen Form. "Das Projekt ist im Hinblick auf Funktionalität, Stabilität und Praktikabilität unausgereift. Es ist auch hinsichtlich des Nutzens für Patientinnen und Patienten und Ärztinnen und Ärzte sowie der Kosten einer kritischen Überprüfung zu unterziehen", erklärt Dietrich. Funktionsfähigkeit und Praktikabilität telematischer Anwendungen im Gesundheitswesen müssen vor ihrer Einführung sorgfältig getestet und überprüft werden. "Denn die bisherigen, zum Teil gravierenden Probleme sind wesentlich darauf zurückzuführen, dass auf ausreichende Testungen verzichtet wurde - dies hat Bundesgesundheitsminister Spahn zu verantworten ", ergänzt der Mediziner. Dies betreffe insbesondere die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und das elektronische Rezept (eRezept).
Ein weiterer Beschluss der Ärzteschaft fordert, die telematische Vernetzung im Gesundheitswesen generell einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Notwendig sei hier eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Analyse für alle Bereiche des Gesundheitswesens und die einzelnen Anwender mit der Möglichkeit des Opt-outs. "Vernetzung kann Vorteile bieten, beinhaltet aber auch erhebliche und zunehmende Risiken für Anwender, Patientendaten und die Versorgungssicherheit insgesamt. Auch das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) weist auf erhebliche, zunehmende Risiken für vernetzte IT-Systeme in Deutschland hin", erläutert Dietrich. Diese Risiken betreffen neben Bereichen wie der öffentlichen Verwaltung und der Wirtschaft ausdrücklich auch das Gesundheitswesen. Risiken durch Hacking nehmen im Hinblick auf Datenmissbrauch oder Datenverschlüsselung mit dem Zwecke der Erpressung weiter zu. Unabdingbar ist nach Überzeugung der Ärzteschaft auch das Aussetzen von Strafzahlungen gegen Ärztinnen und Ärzte, die nicht an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sind.
Dietrich weiter: "Die vierte Coronawelle rollt massiv auf Deutschland mit seinen Bürgern, Arztpraxen und Kliniken zu. Wer jetzt nicht reagiert, und ausreichend Raum für Impfungen und Behandlungen in den Arztpraxen gibt, anstatt Ärzte durch eine unausgereifte Telematik-Technik an ihrer Arbeit zu hindern, verlässt verantwortliches Handeln in der Gesundheitspolitik." Den Praxen drohe dann dasselbe wie bereits vielen Intensivstationen: Leistungsschwund durch Ausfall und Ausstieg.
Über die Freie Ärzteschaft e.V.
Die Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ) ist ein Verband, der den Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004 gegründet und zählt heute mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie verschiedene Ärztenetze. Vorsitzender des Bundesverbandes ist Wieland Dietrich, Dermatologe in Essen. Ziel der FÄ ist eine unabhängige Medizin, bei der Patient und Arzt im Mittelpunkt stehen und die ärztliche Schweigepflicht gewahrt bleibt.
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