Freie Ärzteschaft: Eine neue Gesundheitspolitik ist nötig
Essen (ots)
Der auf der Mitgliederversammlung in Berlin wiedergewählte Vorstand der Freien Ärzteschaft hat auf dem jährlichen Kongress Freier Ärzte in Berlin-Mitte klare Forderungen an die neue Regierungskoalition gestellt.
Der mit hochkarätigen Referenten besetzte Hybrid-Kongress befasste sich in diesem Jahr mit den Themen Wissenschaft in Coronazeiten, der Rolle von Private Equity Konzernen im ambulanten Gesundheitswesen, der Entwicklung einer Plattformmedizin unter der Ägide von Online-Konzernen und den juristischen Risiken einer zentral gespeicherten elektronischen "Patientenakte" (ePA) für die Nutzung durch Ärztinnen und Ärzte.
Prof. Gerd Antes, langjähriger Leiter des deutschen Cochrane-Instituts und international anerkannter Mathematiker und Statistikexperte, wies in seinem Vortrag auf ein gefährliches Datenchaos in der Coronapandemie und eine daraufhin nicht wissenschaftlich abgesicherte Coronapolitik in Deutschland hin. Evidenzbasierte Forschungen sind für eine bessere Coronapolitik unabdingbar, so sein Fazit.
Walter Plassmann, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung aus Hamburg, zeigte in einem beunruhigenden Vortrag auf, dass besonders in den Metropolen wie Hamburg weite Bereiche der ambulanten Medizin wie Radiologie, Labor, Nephrologie, Onkologie, Augenheilkunde und Kardiologie inzwischen von Private Equity Firmen aufgekauft würden. Die Sitze würden dann mit angestellten Ärzten besetzt. Solche Medizinischen Versorgungszentren seien oft intransparent und würden nach wenigen Jahren mit Gewinn weiterverkauft. Behandlungsvorschriften an die Ärzte durch kaufmännische Geschäftsführungen seien an der Tagesordnung und die freiberufliche Zukunft der jungen Ärztegeneration im ambulanten Sektor werde dadurch verunmöglicht. Er forderte von der Ampelkoalition ein sofortiges MVZ Moratorium und einen Kurswechsel in der MVZ Politik.
In dem Vortrag "App statt Arzt, mit e-Rezept, e-AU und ePA auf dem Weg zur Plattformmedizin" wies die stellvertretende FÄ-Vorsitzende Dr. Silke Lüder aus Hamburg auf die ambulante Medizin in Deutschland als zunehmendes Geschäftsfeld von Online-Apotheken und Telemedizinfirmen hin. Der Wegbereiter waren die monatlichen Gesetzesänderungen durch den bisherigen Gesundheitsminister Jens Spahn. Auch hier, so Lüder, sei in Zukunft ein Kurswechsel der Politik dringend nötig, wenn man verhindern wolle, dass sich die Qualität der ambulanten Medizin in Deutschland auf eine billige Fernbehandlungsberatung durch unbekannte, bei Konzernen angestellte Ärzte reduziert.
Der bekannte Medizinrechtsanwalt Dirk Wachendorf aus Bonn zeigte in seinem Vortrag die juristischen Risiken der zentralen elektronischen Patientenakte (ePA) auf, die von vielen Lobbyisten augenblicklich als Geheimwaffe zur Verbesserung der Behandlung gepriesen wird, in Wirklichkeit aber in der vorgestellten Form dieses Versprechen nicht halte und für die zur Anwendung gezwungenen Ärztinnen- und Ärzte durch Unvollständigkeit und Datenschutzlücken ein veritables juristisches Problem beinhalte.
FÄ-Vorsitzender Wieland Dietrich forderte als Fazit der auch online gut besuchten Veranstaltung die Ampel-Koalitionäre auf, einen positiven Kurswechsel in der Gesundheitspolitik zu vollziehen. Die Heuschrecken im Gesundheitswesen müssten durch eine MVZ Reform gestoppt, die wissenschaftlichen Grundlagen für die Coronapolitik verbessert und Datenschutz sowie die informationelle Selbstbestimmung der Patienten in der Medizin erhalten bleiben. Eine verpflichtende, zentral gespeicherte lebenslange elektronische Krankenakte, bei der sich die Patienten nur unter großen Schwierigkeiten abmelden können ("opt-out"), widerspricht Datenschutz und ärztlicher Schweigepflicht. Das kann nicht das Ziel einer neuen Regierung sein, die sich dem "Fortschritt" verpflichtet fühlt., sagte Dietrich am heutigen Mittwoch und kündigte an: "Die Freie Ärzteschaft wird auch in Zukunft ihre Rolle als kritischer Ärzteverband konsequent wahrnehmen."
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