Neue OZ: Kommentar zu Chile /Literatur
Pablo Neruda
Osnabrück (ots)
Angst vor der Macht des bloßen Wortes
"Wie viele Divisionen hat der Papst", spottete einst der sowjetische Diktator Stalin. In dem Schmähwort steckt die Angst vor der Macht des bloßen Wortes. Diese Angst verspüren alle Gewaltherrscher. Deshalb verfolgen sie Dichter, Journalisten, Künstler. Oder trachten ihnen gleich nach dem Leben. Der heimtückische Mordanschlag ist ein Verbrechen - und in diesem Kontext der furchtbar eindrucksvolle Beleg für die Wirkung von Literatur.
Augusto Pinochet muss Angst vor Pablo Neruda gehabt haben, trotz seiner Armee, seiner Polizei. Sollte Neruda einem Giftanschlag zum Opfer gefallen sein, dann wird genau das als erwiesen angesehen werden müssen. Mit der Todesursache wird das Expertenteam, das den exhumierten Leichnam des Dichters untersucht, also auch ein Stück Zeitgeschichte klären.
Das Resultat ändert nichts an der Tatsache, dass schon Nerudas Begräbnis ein Fanal für die Freiheit war - und der Dichter der Freiheit ausgerechnet Stalin ein Ergebenheitsgedicht gewidmet hat. Dieser tragische Widerspruch bleibt.
Stefan Lüddemann
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