Neue OZ: Kommentar zu Urteile
Affären
Wulff
Osnabrück (ots)
Wieder einmal unterschätzt
Christian Wulff hat den Prozess gewonnen und ist doch Verlierer. Amt, Ehe, Ruf, Selbstvertrauen und viel Geld: All dies hat ihn die Affäre gekostet. Der Freispruch mag ein Trost sein, Wiedergutmachung bietet er nicht.
Wer hat noch verloren? Da wären viele Medien, die Glaubwürdigkeit einbüßten. Winzigkeiten wurden aufgeblasen und wie in einer Endlosschleife wiederholt. Dritter Verlierer ist der Rechtsstaat. Die Ermittler haben nur ihre Arbeit gemacht, mögen sie einwenden. Das trifft zu - aber sie haben sie schlecht gemacht. Staatsanwälte müssen auch entlastende Fakten berücksichtigen. Dauer und Aufwand der Ermittlungen wirkten außerdem, als ginge es um Hochverrat und nicht um menschliche Eigenheiten, die man nicht einmal wirkliche Schwächen nennen kann, ohne zum Pharisäer zu werden.
Vom vierten Verlierer spricht gegenwärtig kaum jemand: der Politik. Stefan Wenzel zum Beispiel, damals Grünen-Fraktionschef in Niedersachsen, oder die SPD-Vertreter Andrea Nahles und Thomas Oppermann. Sie und andere haben sich an Wulff mit Wonne abgearbeitet. Kritik an ihm versprach raschen Beifall, also stimmten sie ein.
Der fünfte Verlierer schließlich ist der Anstand, generell und gesellschaftlich. Viele weideten sich daran, wie "einer von da oben" stolperte.
Wer ein guter Verlierer ist, steht zur Niederlage und lernt daraus - und gratuliert dem Gewinner. Nun war Wulff am Verlauf der Dinge durch Geltungsdrang, begrenztes Charisma und taktische Fehler nicht unschuldig. Und doch: Den Mut und die Kraft, den Prozess in Kauf zu nehmen und zu meistern, mit Risiko konsequent auf Freispruch zu pochen und diesen nun zu erhalten - wer hätte es ihm zugetraut?
Unterschätzt zu werden zog sich wie ein roter Faden durch Wulffs Karriere. Vor diesem Prozess wurde er es ganz offensichtlich abermals.
Burkhard Ewert
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