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Juli Zeh: "Wir müssen die Freiheit schützen, in Fragen der Pandemie in der Minderheit zu sein"

Osnabrück (ots)

Schriftstellerin warnt vor "ständigem Verweis auf moralische Verpflichtung" - Umzug aufs Land hatte für Zeh "Erlösungscharakter"

Osnabrück. Schriftstellerin Juli Zeh wirbt für Toleranz im Umgang mit unterschiedlichen Haltungen zur Corona-Politik der Bundesregierung. "In der Diskussion um die richtigen Maßnahmen gegen die Pandemie führt der ständige Verweis auf moralische Verpflichtung zu inneren Verletzungen. Wir müssen auch die Freiheit schützen, in Fragen des Umgangs mit der Pandemie in der Minderheit zu sein", warnte die Schriftstellerin im Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" davor, Maßnahmen gegen die Pandemie mit moralischen Wertungen zu vermengen. Sie halte viel von verbindlichen Regeln, die zu befolgen seien, ohne sie immer gleich mit einem Verweis auf eine Moral zu verbinden. Zudem forderte die Autorin, in der Zeit der Pandemie mehr für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu tun: "In der Pandemie vermitteln die Medien den Eindruck einer gespaltenen Gesellschaft. Dabei ist die Solidarität wichtig, gerade mit jenen Menschen, die die Dinge anders sehen als wir."

Nach den Worten von Juli Zeh geht es jetzt darum, Freiheit und Sicherheit in einer offenen Gesellschaft wieder neu ins Gleichgewicht zu bringen. "Fundamentale Bedrohungen wie die Terroranschläge vom 11. September oder die Corona-Pandemie zeigen, dass es zunächst immer eine Verschiebung zugunsten der Sicherheit und zulasten der Freiheit gibt. Die Menschen wollen sich schützen", sagte Juli Zeh, die seit 2018 ehrenamtliche Verfassungsrichterin in Brandenburg ist. "Das darf aber nie so weit gehen, dass die richtige Abwägung von Freiheit und Sicherheit vergessen wird. Die Meinungskämpfe um Sicherheit und Freiheit führen meistens dazu, dass eine Gesellschaft wieder in eine gute Balance kommt."

Juli Zeh, die seit 2007 im brandenburgischen Barnewitz westlich von Berlin lebt, empfahl als Vorbild das Zusammenleben der Menschen auf dem Dorf. In den Städten herrsche ihrer Wahrnehmung nach seit Jahren ein starker Anpassungsdruck, sagte die Autorin, die zuletzt mit "Unterleuten" und "Über Menschen" zwei Bestseller-Romane vorgelegt hatte, die in Dörfern spielen. Aufs Land zu ziehen habe für sie "Erlösungscharakter" gehabt. "Im Dorf ändert sich das Sozialverhalten. Andere Menschen sind oft eine Zumutung für uns. Auf dem Dorf sind sie unausweichlich. In der Stadt neigt man viel mehr zu Ausweichbewegungen. Das Miteinander auf dem Dorf folgt einem Pragmatismus. Und das macht sehr glücklich", sagte Zeh und sagte dazu abschließend: "Die Gesellschaft sollte bestimmte Tugenden der Dorfgemeinschaft dringend lernen, sonst fliegt sie auseinander."

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