Westfalenpost: Salomonisches aus Karlsruhe Von Winfried Dolderer
Hagen (ots)
<p>Er ist also wieder einmal an den Euro-Rettern vorübergegangen, der Kelch aus Karlsruhe. Dem Bundespräsidenten steht es frei, die deutsche Mitwirkung am Stabilitätsfonds ESM ohne weiteren Verzug, wenn auch unter Auflagen, in Kraft zu setzen. Eine Sensation ist das freilich nicht.</p><p/><p>Es wäre eine gewesen, hätten die Verfassungsrichter erstmals in der mittlerweile etappenreichen Geschichte ihrer Europa-Rechtsprechung einen Vertrag in Bausch und Bogen verworfen. Sie urteilen ja nicht im politikfreien Raum. In der Regel haben sie stets beides im Blick, den Geist des Grundgesetzes wie auch die möglichen praktischen Folgen ihrer Beschlüsse.</p><p/><p>So erklären sie sich für unzuständig, über Sinn und Zweck des ESM eine Meinung zu äußern, oder auch darüber, inwieweit die eingegangenen finanziellen Verpflichtungen den Bundeshaushalt überfordern könnten. Dies alles gehört aus Sicht des Gerichts in den "weiten Einschätzungsspielraum" des Gesetzgebers. Das ist ständige Rechtsprechung in Karlsruhe: Die Richter fühlen sich nicht berufen, das politische Ermessen des Parlaments im Prinzip zu beschneiden.</p><p/><p>Gewiss eine Enttäuschung für jene Kläger, die sich genau das erhofft hatten, weil sie die deutsche Politik längst europäisch entmachtet sehen. Doch ist das Gericht auch ihren Befürchtungen entgegengekommen: Dass mit dem ESM ein Abflussrohr installiert wird, durch das sich deutsches Steuergeld in ungebremstem Schwall in südeuropäische Fässer ohne Boden ergießt, das soll es nicht geben dürfen. Ja zum ESM, aber nur unter dem Vorbehalt strikter Haftungsgrenzen: Das nennt man wohl ein salomonisches Urteil.</p>
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