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Westfalenpost: Kommentar zur SPD

Hagen (ots)

Wenn man keine Chance hat, dann sollte man sie nutzen. Sigmar Gabriel hat wieder einmal alle überrascht. Der Rücktritt von der sicheren Kanzlerkandidatur, die Aufgabe des Parteivorsitzes ist ein echter Coup. Und so viel ist sicher: Für Amtsinhaberin Angela Merkel wird der Wahlkampf eindeutig schwerer. Martin Schulz bringt neben hervorragenden Beliebtheitswerten auch eine echte Wettkampfhärte mit. Der Karren steckt tief im Dreck So dürfte auch Gabriels Analyse der schwierigen Lage seiner Sozialdemokraten ausgefallen sein. Die Umfragen für die Partei und seine eigene Person sind mehr als überschaubar, sie liegen bei knapp 20 Prozent. Die Kanzlerin musste sich vor diesem Konkurrenten nicht fürchten. Es ist wahrscheinlich, dass Gabriel die Sorge vor einem historisch schlechten Wahlergebnis getrieben haben könnte. Seit der Wahl 2009 ist die SPD unter ihrem Vorsitzenden aus diesem Loch nicht herausgekommen. Der Karren steckt nach wie vor tief im Dreck. Der Niedersachse polarisiert. Genützt hat es ihm nicht. Im Falle einer Direktwahl würden sich nur 19 Prozent der Deutschen für ihn entscheiden, aber 57 Prozent für Merkel. Beim Bundesparteitag Ende 2015 erhielt er nur 74,3 Prozent der Stimmen. Da können einem schon Zweifel kommen. Schulz kann klare Kante zeigen Es ist nicht das erste Mal, dass Gabriel kurz vor der Entscheidung die Reißleine zieht. Im Jahr vor der Bundestagswahl 2013 überließen zunächst er und dann Frank-Walter Steinmeier dem Kandidaten Peer Steinbrück den Vortritt. Das Ergebnis ist bekannt. Nun soll Hoffnungsträger Martin Schulz auch den Parteivorsitz erhalten, um genügend Schwerkraft entwickeln zu können. Und das wird er tun. Unbelastet von jeder Kabinettsdisziplin der Großen Koalition kann Schulz klare Kante zeigen, sich selbst und die SPD eindeutig gegen die CDU positionieren. Er muss keine Rücksicht nehmen, hat nicht einmal ein Bundestagsmandat. Diese Profilbildung ist Voraussetzung dafür, dass die Sozialdemokraten überhaupt eine Chance haben. In den vergangenen Jahren ist es immer schwerer gefallen, die Stammwähler zu mobilisieren. Die AfD spricht mit einem fremdenfeindlichen Kurs Nichtwähler an und wildert bei allen anderen Parteien am rechten Rand. Möglicherweise kommt Schulz noch rechtzeitig, um Hannelore Kraft und der SPD in NRW vor den Wahlen im Mai neuen Schwung zu geben. Konsequenter Rückzug Für Gabriel ist es im Grunde schade. Denn er zählt ohne Zweifel zu den großen politischen Talenten seiner Generation. Mit seinem Instinkt beherrscht er die Bierzelte, aber auch die politische Strategie. Die Art und Weise mit der er Steinmeier zum gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten von SPD, CDU und CSU lancierte - das war schon bemerkenswert. Nur seine Sprunghaftigkeit stand ihm immer wieder im Weg. Am Ende wussten die Menschen oft nicht mehr, woran sie bei ihm waren. Schließlich zählt auch noch die Tatsache, dass Sigmar Gabriel im März zum dritten Mal Papa wird. Das Spannungsfeld zwischen Spitzenpolitik und ein bisschen Normalität im Familienleben hat ihn stark belastet, er hat auch öffentlich darunter gelitten. Das wäre nun nicht besser geworden. Sein Rückzug ist konsequent.

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