Westfalenpost: Start mit Eklat Abgeordnete gegen Vize-Präsident Bisky
Hagen (ots)
Von Bodo Zapp
Am Tag der Konstituierung des Bundestages waren die Schlagzeilen schon geschrieben, die Kommentar-Linien festgezurrt. Dann geschah etwas, mit dem niemand rechnen konnte, was es noch nicht gab und überwiegend Ratlosigkeit hinterließ: Der sechste Vizepräsident des Parlaments erhielt in drei Wahlgängen keine Mehrheit! Bitter für Lothar Bisky vom Linksbündnis, zwiespältig wegen zuvor getroffener Fraktionsabsprachen, aber ein eindeutiger Beleg für die Unabhängigkeit und das Selbstbewusstsein der Abgeordneten. Vor dem Gesetz hat jeder Parlamentarier ein freies Mandat, er unterliegt keinen Zwängen. Die Praxis sieht oft anders aus, was dem Ruf des Parlaments nicht immer dienlich war. So gesehen war dies ein Eklat mit Reinigungseffekt. Und ganz bestimmt nicht zufällig wurde das Linksbündnis mit den SED-Nachfolgern Opfer des unangekündigten "Aufstands". Das Nein zu Bisky kann nicht zwingend so interpretiert werden, dass die Abgeordneten ihr morgendliches Votum korrigieren, wonach alle im Bundestag vertretenen Parteien Anspruch auf einen Vizepräsidenten haben. Aber viele wollen eben keinen Stellvertreter aus einer Fraktion, die frühere hauptamtliche Mitarbeiter der SED in ihren Reihen hat. Die ungeklärte Stasi-Vergangenheit Biskys, seine IM-Akte - all das wog schwerer als sein bisheriges öffentliches Erscheinungsbild als umgänglicher Linksaußen. Die Person wurde abgelehnt, abgestraft. Gysi und Lafontaine sollten für einen neuen Wahlversuch einen neuen Namen präsentieren. Dies war ein leitungstechnisch schwerer Start für den neuen Bundestagspräsidenten, dessen Super-Wahlergebnis in der unerwarteten Hektik eines Tages etwas unterging, an dem Erinnerung an das Nichtwahl-Debakel von Heide Simonis hochkam. Norbert Lammert machte seine Sache gut. Mit gebotener Ernsthaftigkeit, aber auch mit ihm eigener Rede-Leichtigkeit. Seine Grundsatzworte über die Stärke des hohen Hauses überraschten positiv in ihrer Klarheit: "Das Parlament ist nicht Vollzugsorgan der Bundesregierung, sondern umgekehrt ihr Auftraggeber". Selbstbewusstsein sei gefragt. Die Abgeordneten merkten es sich. Stimmen-Dämpfer für Thierse, die Merkel-Verstimmung in NRW, Überreichung der Entlassungsurkunden für das nur noch geschäftsführende Kabinett: An großen Diskussionsthemen mangelte es nicht. Bundespräsident Köhler hat das Kabinett Schröder/Fischer "mit Dank und Anerkennung für treue Dienste" zur Geschichte erklärt. Dem Noch-Kanzler und den scheidenden Ministern war Abschiedsschmerz anzumerken. Die Schlagzeilen des Tages machte ein anderer.
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