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NRZ: Mursis Machtprobe - Kommentar von Martin Gehlen

Essen (ots)

Mohamed Mursi passt die schräge Machtverteilung nicht, die ihm der Oberste Militärrat noch am Abend der Stichwahl mit einer Serie von Verfassungszusätzen aufgezwungen hat. Dennoch: Am Tag seiner Amtseinführung schwor er vor dem Verfassungsgericht heilige Eide und versicherte feierlich, er werde alle Entscheidungen der Justiz respektieren, auch wenn sie ihm gegen den Strich gehen. Keine zehn Tage später waren die staatsmännischen Vorsätze vergessen. Mursi drehte den Spieß so heftig um, dass Ägypten nun wahrscheinlich eine neue Phase innenpolitischer Lähmung und öffentlicher Aufwallungen bevorsteht. Per Dekret setzte der Staatschef das kürzlich vom Verfassungsgericht massiv beanstandete Parlament wieder in seine Funktionen ein, obwohl nach dem Urteil der obersten Richter ein Drittel der Mandate ungültig sind. Neuwahlen kann es frühestens in einem Jahr geben, wenn Verfassung und ein neues Wahlrecht verabschiedet sind. In einem Land, in dem kaum noch eine Institution richtig funktioniert und die öffentliche Ordnung immer mehr ins Taumeln gerät, kommt Mursis frontale Machtprobe mit Justiz und Armee einem weiteren schweren Tritt in das Gebälk des ägyptischen Staates gleich. Denn niemand kann sagen, ob die künftigen Gesetze des vom Präsidenten wiederbelebten Parlaments überhaupt gültig sind. Niemand kann sagen, was ein Urteil des Verfassungsgerichts am Nil künftig noch Wert ist. Und niemand kann sagen, ob die liberalen Abgeordneten überhaupt weitermachen werden - oder Muslimbrüder und Salafisten fortan als Volksvertreter unter sich bleiben.

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