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Macht schlägt Moral - ein Kommentar von JAN JESSEN
Essen (ots)
Seit 1945 ist kein Ministerpräsident in Deutschland mit den Stimmen der extremen Rechten in sein Amt gehievt worden. Bis jetzt hielt die Brandmauer zwischen denen, die sich dem demokratischen Konsens verpflichtet fühlen, und denjenigen, die Deutschland in ein völkisches und illiberales Land transformieren wollen. CDU und FDP in Thüringen haben diese Brandmauer eingerissen, um zu verhindern, dass der Linke Bodo Ramelow erneut Ministerpräsident wird. Das ist jene CDU, deren Landeschef Mike Mohring noch im November jede Kooperation oder Tolerierung durch die AfD kategorisch ausgeschlossen hatte. Zu Recht, ist doch die Thüringer AfD noch weiter vom bürgerlichen Lager entfernt als die meisten anderen Landesverbände der Partei. Die rechtsextremen Flügelleute um Landeschef Björn Höcke dominieren in Thüringen, der antisemitische und rassistische Charakter der Partei tritt dort besonders offen zu Tage. Politische Beobachter hatten angesichts der Mehrheitsverhältnisse jedoch bereits im Vorfeld der Ministerpräsidentenwahl vor dem Szenario gewarnt, das nun Realität geworden ist. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft schwächt die bürgerlichen Abwehrkräfte gegen Rechts. Macht schlägt Moral. Die Abneigung gegen die Linkspartei sitzt im bürgerlichen Lager in Thüringen offensichtlich tiefer als die Sorge, Rechtsextremisten salonfähig zu machen und sich von der AfD vorführen zu lassen. CDU und FDP haben in Thüringen nicht nur einen seit 1945 geltenden Konsens aufgekündigt und ihre jeweiligen Bundesspitzen blamiert, sie haben sich auch in eine missliche Lage manövriert. Wenn sie tatsächlich vorhaben, das Land in den nächsten Jahren zu regieren, müssten sich von der AfD abhängig machen. Unvorstellbar? Nicht mehr seit Mittwoch. Auf Bundesebene haben Christdemokraten und Liberale nun einiges zu tun. Sie müssen beispielsweise Juden und Muslimen in Deutschland glaubhaft und überzeugend versichern, dass Thüringen ein hässlicher Betriebsunfall war, und nicht der Ausgangspunkt einer Entwicklung, bei der irgendwann Rechtsextreme nicht nur als Königsmacher, sondern auch als Koalitionspartner akzeptabel sind.
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