Mittelbayerische Zeitung: Stoppt die Geisterfahrt Leitartikel zum Benzingipfel
Regensburg (ots)
Was bringt ein Benzingipfel, dessen mageres Ergebnis bereits vorher feststand? Den Narren am Höhepunkt des Karnevals Anregungen für neue Kalauer, den Chauffeuren der beteiligten Minister und Manager einen unlustigen Faschingsdienstagsumzug durch die Hauptstadt und der Umwelt jede Menge CO2, das von den Dienstlimousinen in die Luft gepustet wurde. Denn was die Runde um Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Umweltminister Norbert Röttgen gestern beschlossen hat, hätte man auch vor zwei Jahren schon haben können. Der Riesenflop des Sprits E 10 ist hausgemacht. Als Röttgens Amtsvorgänger Sigmar Gabriel im April 2008 die Einführung des neuen Benzins vor allem aufgrund einer Kampagne des ADAC stoppte, hätte allen Beteiligten klar sein müssen, dass man den umstrittenen Kraftstoff nicht einfach über Nacht verkaufen kann, ohne die Verbraucher vorher umfassend aufzuklären. Bei kaum einem anderen Thema verstehen die Deutschen weniger Spaß als bei ihrem Auto. Ihr Streik an den Zapfsäulen ist nur zu verständlich: Allein der Verdacht, dass die neue Spritsorte ihren Wagen kaputtmachen könnte, trieb sie zum Boykott. Und damit haben die Bürger völlig Recht. Bei der verzapften Einführung von E 10 waren viele Dilettanten am Werk - nicht nur auf Seiten der Politik. Warum geben die Autohersteller keine verbindliche Garantie, falls der Motor vorzeitig kaputtgeht? Informationen über die E-10-Verträglichkeit muss man teilweise umständlich im Internet suchen und manchmal findet man nur Auflistungen, welche Autos garantiert keinen Öko-Sprit vertragen. Glaubwürdigkeit sieht anders aus. Warum bringt man die Tankstellenbetreiber überhaupt in die Bredouille, völlig verunsicherte Autofahrer darüber aufzuklären, was E 10 überhaupt ist? Üblicherweise bewirbt die Mineralölindustrie neue Produkte mit großem Aufwand. Bei E 10 beschränkte sich das Marketing aber darauf, das neue Benzin ein paar Cent billiger anzubieten. Und warum kommt der ADAC erst jetzt auf die glorreiche Idee, ein Auto einem Dauertest mit dem Öko-Sprit zu unterziehen? Hätte man den Versuch schon vor zwei Jahren gestartet, wären wir jetzt alle klüger. Doch spätestens die Warnung eines BMW-Ingenieurs am Wochenende, der Bio-Sprit könne alle Motoren schädigen, müsste der Todesstoß für E 10 sein. Auch wenn die Autohersteller jetzt unisono das Gegenteil versichern: Das Vertrauen ist dahin. Unabhängig vom Benzin-Wirrwarr sind Zweifel am Sinn von E 10 angebracht. Denn nicht überall wo Bio draufsteht, ist Öko drin. Klimaschutz wird zum zynischen Luxus, wenn auf dem Acker anstelle von Lebensmitteln Sprit produziert wird. Getreide gehört auf den Teller, nicht in den Tank. Außerdem ist E 10 ein Schutzbrief der Regierung für die herkömmlichen Verbrennungsmotoren, die schon in wenigen Jahren ein noch größere Ladenhüter sein könnten als der Bio-Sprit. Angesichts von Erdölpreisen, die nur noch die Richtung nach oben kennen, brauchen wir sparsamere Autos, besseren öffentlichen Verkehr und alternative Antriebe. Wesentlich überzeugender als die ferne Elektromobilität wären Erdgas- und Autogasfahrzeuge. Hier ist die Technik ausgereift, die langfristige Versorgung ist sicherer und sie stoßen wenig CO2 aus. Der Umweltminister wurde vom E-10-Debakel überrollt. Der Informations-GAU geht auch auf seine Kappe, weil er es versäumte, der Industrie klare Vorgaben zu machen. Zudem blockiert Röttgen eine echte grüne Verkehrswende. Auf dem Benzingipfel verpasste er die letzte Ausfahrt, um die Öko-Geisterfahrt zu unterbrechen. Jetzt sind wieder die Autofahrer am Zug. Mit einer Abstimmung an den Zapfpistolen können sie den Minister auf den Pannenstreifen winken.
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