Mittelbayerische Zeitung: Kommentar: Das Ritual
Regensburg (ots)
Die Castoren rollen, bewacht von Zehntausenden Polizisten, im Schritttempo auf Gorleben zu, die Demonstranten blockieren, bemühen Trillerpfeifen, schneiden Versorgungswege ab. Ein bisschen Krieg spielen im Dienste der guten Sache, besprüht vom polizeilichen "Wasserregen" der Eskalationsstufe eins. Es ist wieder einmal Castor-Zeit, in etwa so überraschend wie das Pfeifkonzert für FIFA-Chef Sepp Blatter bei einem WM-Spiel oder die Probleme der Bahn im Winter. Noch wenige Stunden und (hoffentlich) genauso wenig Verletzte, und das Geschehen verschwindet wieder mal im Archiv, bis zum nächsten Mal. Wenn sich der Protest gegen die Atomkraft in den immer gleichen Ritualen verzehrt, winken viele Menschen, die sich vielleicht gerade Sorgen um ihren Arbeitsplatz (oder um die Vereinbarkeit des Jobs mit der Familie) machen müssen, müde ab. Geht's nicht ein bisschen fantasievoller? Man ist ja schon fast dankbar für den getarnten Bierlaster von Greenpeace. Dabei bleibt die Frage "Wohin mit dem Atommüll?" heiß, so wie es aussieht, noch ein paar hunderttausend Jahre. Das Thema muss daher unbedingt an die Öffentlichkeit, denn der Mensch neigt dazu, Gefahren nur dann wahrzunehmen, wenn sie unmittelbar bevorstehen. Doch wenn sich der Protest gegen die lahme Politik auf das Anketten an Gleise beschränkt, sieht bald keiner mehr zu.
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