Mittelbayerische Zeitung: Glaubwürdigkeit zählt
Regensburg (ots)
Von Holger Schellkopf
Radiosender machen solche Spielchen gerne, um ihre Hörer zu mobilisieren - und weil jeder die Systematik versteht. Die ist tatsächlich simpel: Im Kern geht es stets darum, jemanden zu finden, der etwas ganz Besonderes kann oder eine extraordinär seltene Eigenschaft besitzt. Die Königsaufgabe dürfte da inzwischen folgende sein: Finden Sie jemanden mit der festen Überzeugung, Christian Wulff sei ein guter Bundespräsident und er solle das auch bleiben (Einschränkung: Bewohner von Schloss Bellevue dürfen nicht teilnehmen). Doch unabhängig davon, wie viele Bundesbürger ihrem Präsidenten in immer wieder neuen Umfragen die Glaubwürdigkeit absprechen; unabhängig davon, dass selbst Unionspolitiker hinter den Kulissen schon unaufgefordert ihr Unglück mit dem Amtsinhaber kundtun; auch unabhängig davon, dass es ausreichend viele ziemlich gute und inzwischen sattsam bekannte Gründe dafür gibt, dass Christian Wulff den Posten des Präsidenten freigeben sollte: Es sieht alles danach aus, als denke er gar nicht daran, den längst notwendigen Schritt zu tun. Das Beharren im Amt muss einem nicht gefallen, ändern kann es aber de facto nur Wulff selbst. Der zeigt sich aber gegenüber Kritik genauso resistent wie gegenüber Spott und Häme - er gibt den Unantastbaren, tut inzwischen einfach so, als hätte er nichts bemerkt. Weil das so ist, werden wir uns wohl oder übel noch auf ein paar Jahre mit dem Präsidentenpaar Wulff einstellen müssen. Werden akzeptieren müssen, dass dieses höchste Amt der Bundesrepublik in den Händen eines Mannes bleibt, der sich nicht so verhält, wie es das Amt eigentlich erfordern würde. Zugegeben, dass ist nicht so leicht hinzunehmen - doch unser Grundgesetz bietet dem Präsidenten diesen Schutz. Daran wird auch die 100. Talkshow mit den immer gleichen Argumenten genauso wenig ändern, wie die 100. Geschichte über irgendein Hotelzimmer-Upgrade, ersatzweise eine hinterrücks eingeflogene Bonusmeile. Was sich aber durch die ebenso zornigen wie nutzlosen Versuche, Christian Wulff mit irgendwelchen Kinkerlitzchen aus dem Amt zu schreiben, ändern wird, ist die Wahrnehmung der Affäre. Wenn schon der Verdacht auf winzigste Vorteilsnahmen zur großen Nummer gemacht wird, dann gehen Maßstäbe verloren. Dann ist der Schritt von der richtigen und wichtigen Aufklärung zur Kampagne getan, dann gibt es statt bedeutsamer Recherche-Ergebnisse nur noch ein Skandalisierungstheater. Je weiter dies getrieben wird, umso mehr wird aus dem Glaubwürdigkeitsverlust des Christian Wulff ein Glaubwürdigkeitsverlust der Medien. Je größer das eigentlich Unwichtige gemacht wird, umso kleiner wird daneben das tatsächlich Wichtige. Der Schaden, der dadurch entstehen kann, ist größer als der Schaden, den nach heutigem Kenntnisstand ein paar weitere Jahre mit diesem Bundespräsidenten verursachen können. Denn am Ende könnte stehen, dass auch tatsächliche Verstöße gegen Werte und Gesetze nicht mehr als solche ernst genommen werden - auch weil die Aufklärer nicht mehr ernst genommen werden. Deshalb muss es jetzt darum gehen, noch genauer hinzuschauen und noch kritischer abzuwägen, was denn nun wirklich erzählt werden muss. Deshalb darf ein Thema nicht nur weitergehen, weil die vermeintlich mächtigsten Medien des Landes daran verzweifeln, dass ihre (in weiten Teilen berechtigten) Attacken ohne die erwünschte Wirkung bleiben. Schließlich ist die zweitschwerste Aufgabe für Radio-Quizzer schon jetzt: Finden Sie jemanden, dem das Thema Wulff nicht auf die Nerven geht.
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