Mittelbayerische Zeitung: Der Sündenbock Der Fall Strepp ist Symptom einer fehlgelaufenen Entwicklung, vor der keine regierende Partei gefeit ist. Von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Von Journalisten einmal abgesehen, dürfte der Name Hans Michael Strepp den meisten Menschen bislang nichts gesagt haben. Die Namen Horst Seehofer oder Alexander Dobrindt hingegen schon. Womit auch die Frage beantwortet ist, warum der CSU-Pressesprecher gestern seinen Hut genommen hat, obwohl kaum vorstellbar ist, dass er alleine die Entscheidung für seinen Anruf beim ZDF getroffen hatte. Strepp ist der erste Sündenbock, den die CSU opfert. Glaubt man den Worten des Parteichefs, vielleicht nicht der letzte. In München hat man schnell verstanden, dass der Fall Potenzial hat, zum Wahlkampfschlager der Opposition zu werden. Und das völlig ohne Not. Denn die CSU steht in den Umfragen blendend da: Nicht einmal eine Dreierkoalition aus SPD, Grünen und Freien Wählern kann ihr gefährlich werden. "Franz Josef Strauß, hilf!", mag es in den Hinterzimmern der Partei deswegen ertönen, aber der Übervater der Partei ist vielleicht derzeit der komplett falsche Patron, an den man sich wenden könnte. Zu Zeiten von Strauß waren noch ganz andere Dinge möglich. Es brauchte erst die Spiegel-Affäre, die sich in diesen Wochen zum 50. Mal jährt. Damals musste er erkennen, dass die Pressefreiheit vielleicht doch ein hohes Gut ist, das zudem auch noch von den Bürgern geschätzt wird. Den Glauben daran, dass es möglich ist, mit politischem Druck die Berichterstattung in die "richtige" Richtung zu lenken, hat Strauß danach trotzdem nicht verloren. In einem Fall wurde etwa ein kritischer Bericht zum Main-Donau-Kanal in Bayern aus dem TV-Programm genommen. Allerdings muss man auch nicht so weit zurückblicken. Der frühere ZDF-Chefredakteur Nikolaus Bender musste 2010 nach einer langen Kontroverse seinen Posten auf Druck des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch nehmen - offiziell waren die schlechten Quoten des Senders der Grund. Dass handfeste politische Gründe dahinter steckten, lag auf der Hand. Aber auch im normalen Tagesgeschäft ist der Versuch der politischen Einflussnahme auf Journalisten nicht selten - und das gilt bis hinein in die Kommunalpolitik. Am deutlichsten wird das bei einer Geißel des Berufs, die sich Autorisierung nennt. Es ist zumindest in Deutschland Usus geworden, dass wörtliche Zitate von Politikern entweder von ihnen selbst oder von ihren Sprechern gegengelesen und freigegeben werden. Es kann durchaus sein, dass am Ende eine Formulierung herauskommt, die vielleicht griffiger, origineller und "nachrichtenwerter" ist, also besser geeignet ist, von anderen Medien aufgriffen zu werden. In anderen Fällen werden sachliche Fehler ausgemerzt. Im schlimmsten, und leider nicht seltenen Fall, werden Aussagen verändert, geschönt oder ganz gestrichen. Dabei gilt zumeist: Wer nicht mitspielt, bekommt auch keine Interviews. Bei massiven Eingriffen liegt es an der Redaktion zu entscheiden, ob der Text trotzdem verwendet wird. Hat er nichts mehr mit dem eigentlichen Gespräch zu tun, wandert er dorthin, wo er hingehört: in den Müll. Das Problem ist aber, dass gute Berichterstattung ohne eine gewisse Nähe nicht möglich ist. Wer nicht nah dran ist, erfährt nichts. Aber es gehört auch zum Handwerk, eine kritische Distanz zu wahren. Das gilt aber für beide Seiten: für den Journalisten wie für sein Gegenüber. Wer diese Balance aus Nähe und Distanz verliert, stolpert. Den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff hatte die verlorene Balance am Ende sein Amt gekostet. Die versuchte Einflussnahme dürfte der CSU teuer zu stehen kommen. Die bayerische Opposition wird noch länger Honig aus der Sache saugen. Mit dem Finger auf die CSU zu zeigen, ist aber letztendlich scheinheilig. Auch SPD, Grünen oder Freien Wählern muss klar sein, dass ein Hans Michael Strepp nur Symptom einer fehlgelaufenen Entwicklung ist, vor der keine Partei, noch dazu keine regierende, gefeit ist.
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