Mittelbayerische Zeitung: Schwebezustand
Regensburg (ots)
Von Heinz Gläser
Als das Jahr 2012 begann, war Lance Armstrong ein zwar misstrauisch beäugter, aber immer noch gefeierter Sport-Held - einer der größten des Planeten. Zwölf Monate später liegt die Karriere des Texaners in Trümmern. Seine sieben Rekord-Titel bei der Tour de France ist er los. Was vielleicht noch schwerer wiegt: Auch seine Reputation als Hoffnungsträger vieler Millionen Krebskranker ist dahin. Doch dem tief gefallenen Rad-Helden droht noch weit größeres Ungemach. Weiterhin ist nicht ausgeschlossen, dass er in seiner Heimat vor eine Grand Jury zitiert und dort unter Eid zu seiner Doping-Vergangenheit vernommen wird. Dass man bei dieser Gelegenheit tunlichst die Wahrheit - und nichts als die Wahrheit - sagen sollte, zeigte der Fall seiner Landsfrau Marion Jones. Die Sprint-Olympiasiegerin wanderte ins Gefängnis, weil sie sich um die offenkundigen Fakten herummogeln wollte. US-Gerichte sind da nicht zimperlich. Armstrongs Lügengebäude, das er nach allen vorliegenden Informationen über Jahre mit systematischem Sportbetrug aufgebaut hatte, könnte vor der Grand Jury wie ein Kartenhaus einstürzen. Lance Armstrongs Abschied vom Olymp war zweifelsohne eines der prägendsten Ereignisse des Jahres. Auch der deutsche Sport hält in diesen Tagen inne und zieht Bilanz - eine, die sich durchaus sehen lassen kann. Zwar reichte es bei den Spielen in London nicht zu einer Medaillenausbeute, wie sie zwischen der Politik und den Fachverbänden in ominösen Zielvereinbarungen festgehalten worden war. Mehr als 80 Mal Edelmetall kann höchstens Chinas staatlich unterfütterte Muskel-Armee abgreifen, aber nicht der deutsche Sport, der oft amateurhafte Strukturen aufweist. Hinzu kam in London die Affäre um die angeblich in rechtsradikale Umtriebe verwickelte Ruderin Nadja Drygalla, in der sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) wahrlich nicht mit Ruhm bekleckerte. Schwerer wiegt jedoch eine sportpolitische Leerstelle, die auch 2012 nicht gefüllt wurde. Der DOSB weigert sich unter der Führung seines Präsidenten Thomas Bach, Lehren aus Fällen wie jenem von Lance Armstrong zu ziehen. Der Dachverband blockiert seit Jahren ein Anti-Doping-Gesetz, das diesen Namen auch verdient hätte, und pocht lieber auf die geheiligte Autonomie des Sports. Gezielte Unterstützung durch Staatsanwälte und Polizei bei der Bekämpfung des Sportbetrugs ist da eher unerwünscht. Und die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada ächzt derweil unter einer chronischen Unterfinanzierung. Bach hat wohl gute Gründe für seinen Kurs. Er strebt im kommenden Jahr den Vorsitz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) an. Scharfmacher oder gar Nestbeschmutzer sind auf dem glatten Parkett der internationalen Sportpolitik nicht gerne gesehen. Lieber wahrt man den schönen, weil gewinnträchtigen Schein, dass es bei der pompösen Leistungsschau der globalen Leibesübungen immer mit rechten Dingen zugeht. Bach riskiert aber auch, dass seine Ambitionen für vorübergehenden Stillstand im deutschen Sport sorgen, nicht nur in der Doping-Bekämpfung. Die Frage einer Olympia-Bewerbung liegt derzeit auf Eis. Ein deutscher IOC-Chef plus eine erfolgreiche Kandidatur - das wäre vermutlich im Ausland nicht vermittelbar. Dieser Schwebezustand wird wahrscheinlich noch weit bis ins kommende Jahr anhalten. Dann ist zudem Bundestagswahl, und in der Politik mehren sich die Stimmen, die nach einem härteren Kurs in der Doping-Bekämpfung rufen. Der Nachfolger von Thomas Bach, sofern dieser tatsächlich den IOC-Thron besteigt, wird diese Debatte erben.
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