Mittelbayerische Zeitung: Nur die Furcht allein
Regensburg (ots)
Von Christian Kucznierz
Die Saat des Hasses ist bereits aufgegangen: Es dauerte nur wenige Stunden nach der bestialischen Hinrichtung eines britischen Soldaten auf offener Straße, bis die rechtsextreme "English Defense League" (EDL) sich zu Wort meldete. Sie hat das Wort "Krieg", das die Täter verwendet haben sollen, gierig aufgenommen und spricht nun von einem Krieg gegen Muslime, der zu führen sei. Noch etwas haben die beiden Täter erreicht: Furcht zu streuen. Das Militär hatte zunächst den Soldaten empfehlen wollen, nicht mehr in Uniform auf die Straße zu gehen. Es hat diesen Plan verworfen. Das ist gut so. Gewalt wird nur dann zu Terror, wenn die Furcht um sich greift. Wenn das geschieht, haben die Attentäter ihr Ziel erreicht. Zwischen dem grausamen Anschlag in Boston Mitte April und der Bluttat in London gibt es auf den ersten Blick vielleicht nicht viele Verbindungen. Die Dimension der Anschläge ist nicht vergleichbar. Wer sich die Bilder aus Boston vor Augen ruft, der will nicht daran zweifeln, dass dies ein Terroranschlag war. Wer die Bilder aus Woolwich sieht, zweifelt daran zunächst sehr wohl. Die Anschläge auf Busse und U-Bahnen in London 2005 erfüllen das, was wir als Terroranschläge bezeichnen. Der Tod eines Einzelnen eher nicht. Und dennoch: Das Opfer von Woolwich war Angehöriger der Armee eines Landes, das international gegen Islamisten kämpft. Sein Tod ist kein Zufall gewesen, sondern ein Symbol. Es geht Terroristen nicht um Opferzahlen allein, nicht um maximale Zerstörung oder Verwüstung. Sondern um maximale Verunsicherung, um Angst und Schrecken, darum, Hass zu verbreiten und den Frieden, die Harmonie, zu unterminieren und letztlich zu zerstören. In einem entscheidenden Punkt sind sich die Anschläge von Boston und London dennoch gleich: Es waren radikalisierte Einzeltäter, offenbar ohne direkte Verbindung zu Terrornetzwerken. Das aber bedeutet nicht, dass sie weniger gefährlich wären; ganz im Gegenteil. Die Zeiten des vernetzten internationalen Terrors sind vorbei, zumindest fürs Erste. Aber es braucht auch gar keine organisierte Al-Kaida mehr; sie würde auch viel zu leicht in den Fangarmen der internationalen Terrorbekämpfer hängen bleiben. Der islamistische Terror - und nicht nur der - ist heute ein Franchise-Unternehmen, an dem sich jeder beteiligen kann. Die Täter kommen nicht mehr unbedingt aus dem Ausland. Sie sind unauffällige, meist junge Männer, die sich selbst radikalisieren. Sie müssen keine Koranschule in Pakistan besuchen, um sich das ideologische Rüstzeug zu besorgen. Ein Laptop reicht aus. Wer heute eine Bombe bauen will, findet im Supermarkt die Hardware und im Internet die Idee. Der Terror ist individualisierter geworden, beweglicher, er hat sich der modernen Gesellschaft angepasst, schwimmt im Strom mit, was sein spontanes Auftauchen umso erschreckender macht. Eine einzelne, schreckliche Bluttat schafft es binnen weniger Stunden auf die Titelseiten, weil sie innerhalb von wenigen Augenblicken in den sozialen Netzwerken unterwegs war, als Text, Foto, Video; und die Täter spielen mit, indem sie ihre Tat kommentieren, wohl wissend, dass die Nachricht sich rasend schnell verbreiten wird. Der Krieg gegen den Terror kann nicht in Afghanistan, nicht im Irak gewonnen werden, nirgendwo auf der Welt - sondern nur in den Köpfen. Sicherheit gibt es nicht. Sie ist eine Illusion, die uns durch Terrorakte immer wieder grausam vor Augen geführt wird. Wir müssen mit der Angst leben lernen. "Zu fürchten gibt es nur die Furcht allein", sagte Franklin D. Roosevelt 1933. Sein Satz gilt bis heute.
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