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Mittelbayerische Zeitung: Sanierungsfall Europa?

Regensburg (ots)

Von Reinhard Zweigler

Die Europäische Union gibt sich etwa so wie der Vesuv. Dieser Vulkan liegt still und beschaulich am Golf von Neapel, doch im Innern brodelt es. Und niemand weiß, ob und wann er ausbrechen wird. Seit die Euro- und Schuldenkrise die EU immer wieder erbeben lässt, ist es vorbei mit der Europa-Beschaulichkeit. Irland, Portugal, Griechenland und Zypern, oder genauer die jeweiligen Banken, konnten mit vielen Milliarden Euro aus EU-Töpfen gerettet werden. Staatspleiten wurden verhindert. Vorerst zumindest. Das Brodeln hält indes unvermindert an. Dass der deutsche Energie-Kommissar Günther Oettinger ausgerechnet vor dem Treffen von Frankreichs Präsident Francois Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel die Europäische Union zum "Sanierungsfall" erklärte, macht die Sache nicht einfacher. Der quecksilbrige Schwabe, der einst von Merkel nach Brüssel "entsorgt" wurde, redet gelegentlich schneller, als er denkt. Und mitunter lässt er dabei sämtliche diplomatischen Rücksichten fallen, die man von einem EU-Kommissar eigentlich erwarten dürfte. Einmal im Redefluss watschte Oettinger nicht nur reihenweise die Regierungen diverser Krisenstaaten ab, sondern trat auch dem Nachbarn Frankreich und obendrein Kanzlerin Merkel kräftig vors Schienbein. Die Crux an Oettingers Schmährede freilich ist, dass sie im Kern viel Wahres enthält. Viele EU-Sorgenstaaten schrammen an der Grenze zur Unregierbarkeit entlang. Nicht nur Rumänien oder Bulgarien, sondern auch das Schwergewicht Italien. Dass es nach dem Patt der letzten Wahl dort zu einer Regierung kam, grenzt beinahe an ein Wunder. Mit Ministerpräsident Enrico Letta verbinden viele Partner in der EU ihre letzte Hoffnung auf Stabilität und vor allem auf die notwendigen Reformen auf der Apenninen-Halbinsel. In Brüssel ist jedem klar, dass der Euro-Rettungsmechanismus vielleicht kleinere Staaten über Wasser halten kann, doch bei Schwergewichten, wie Italien und erst recht Frankreich, würde das Rettungsgeld niemals ausreichen. Pflichtgemäß hat Merkel die Kritik ihres Parteifreundes Oettinger abschmettern lassen. Bei der Bewältigung der Euro- und Staatsschuldenkrise sei man "auf dem richtigen Wege", hieß es in Berlin. Doch mit dieser diplomatischen Floskel wird glatt verdeckt, dass die deutsche Konsolidierungs-Kanzlerin derzeit dabei ist, einen vorsichtigen politischen Schwenk einzuleiten. Angesichts der dramatischen Entwicklungen in den Krisenstaaten mit galoppierender Jugendarbeitslosigkeit und Rezession scheint Merkel bereit, ihre harte Sparpolitik zu lockern. Mit Madrid und Paris wurden bereits bilaterale Vereinbarungen zur Ausbildung von Fachkräften getroffen. Hollande, der endlich Erfolge vorweisen muss und im eigenen Land unter gewaltigem Druck steht, drängt auf weitere Programme zur Ankurbelung der Konjunktur. Die deutsche Kanzlerin setzt diesem Drängen nun nicht mehr ganz so fundamentale Gegenwehr entgegen wie noch in den vergangenen Monaten. Freilich wird Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Bundestagswahl im Herbst offiziell keinen Kurswechsel vollziehen. Das wäre nämlich auch Wasser auf die Mühlen der Opposition in Deutschland, die die Kanzlerin wegen ihrer "Austeritätspolitik" in der EU heftig attackiert. Um die Union der Europäer wirklich zu sanieren, müssen allerdings sowohl die öffentlichen Haushalte konsolidiert als auch die Wirtschaft in den Krisenstaaten angekurbelt werden. Und das scheint fast so schwierig, wie den Vesuv zu zähmen.

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