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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Flexibilisierungsjahr: Endlich mehr Zeit von Louisa Knobloch

Regensburg (ots)

Mit dem Flexibilisierungsjahr führt Bayern eine Art "G9 light" ein. Für die Schüler ist das eine gute Sache.

Jedem Schüler die Lernzeit geben, die er braucht - das Ziel von Kultusminister Ludwig Spaenle klingt gut. Ab dem neuen Schuljahr können junge Leute in Bayern also selbst entscheiden, ob sie sich den Gymnasialstoff in acht oder neun Jahren aneignen wollen. Individuelle Lernzeit heißt das Modell. Mit der Neuerung reagiert der Minister auf die anhaltende Kritik von Schülern und Eltern am G8: Diese hatten über volle Lehrpläne, viel Nachmittagsunterricht und kaum noch Zeit für Hobbys geklagt. In bundesweiten Umfragen spricht sich eine große Mehrheit der Eltern für eine Rückkehr zum G9 aus: Acht Jahre für das Gymnasium seien einfach zu kurz. In einigen Bundesländern wurde die Rolle rückwärts zum G9 bereits vollzogen. So führen in Baden-Württemberg 44 Schulen wieder in 13 Jahren zur allgemeinen Hochschulreife. In Bayern lehnt das Kultusministerium eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium oder eine Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9, wie SPD und Freie Wähler sie fordern, ab. Dies würde dem Minister zufolge einen großen Teil der Schüler benachteiligen. Denn von den verschiedenen Zügen - mathematisch-naturwissenschaftlich, neusprachlich, humanistisch oder musisch - könnten an einer Schule nicht alle als G8- und G9-Zug angeboten werden. Vielleicht hat Ludwig Spaenle aber auch Bedenken, dass sich die überwiegende Mehrheit der Eltern im Falle einer Wahlmöglichkeit für den G9-Zug entscheiden würde. Mit der individuellen Lernzeit und dem Flexibilisierungsjahr als zentraler Maßnahme wird nun also eine Art "G9 light" eingeführt. Ob das nur eine weitere Reform auf der Großbaustelle Gymnasium ist oder ob das Modell Schüler und Eltern mit dem G8 versöhnen kann, muss sich erst noch zeigen. Schon jetzt sei das Interesse an dem Modell groß, betonte Spaenle: An über der Hälfte der Gymnasien wollten Schüler die individuelle Lernzeit nutzen. Wie viele es aber tatsächlich werden, und wie die Schulen das Konzept im Einzelnen umsetzen, ist derzeit noch unklar. Dass noch keine konkreten Zahlen vorliegen, erschwert die Planung. Für die zusätzlichen individuellen Lernangebote braucht es entsprechend Lehrer und Räume. Spaenle zufolge ist im Durchschnitt pro Gymnasium eine halbe Stelle vorgesehen - je nach Schulgröße. Das könnte sich jedoch als viel zu wenig erweisen. Die individuelle Lernzeit richtet sich übrigens nicht nur an Schüler, die Defizite in einzelnen Fächern aufarbeiten wollen, sondern auch an solche, die ihre musikalische oder sportliche Begabung weiterentwickeln oder ein Jahr ins Ausland gehen wollen. Das ist gut, da gerade für solche Aktivitäten im bisherigen G8 oft wenig Zeit blieb. Und Zeit ist es, was Kinder und Jugendliche in diesem Alter brauchen. Zeit, sich zu entwickeln, die Welt zu entdecken und den eigenen Platz darin zu finden. Zeit, neue Hobbys auszuprobieren und so die eigenen Stärken und Schwächen kennenzulernen. Und natürlich Zeit, um einfach mal jung zu sein und das Leben zu genießen. Ein Jahr mehr oder weniger Zeit kann einen unglaublichen Unterschied machen. Das haben auch die Verantwortlichen an den Hochschulen festgestellt, die es mit immer jüngeren Bewerbern zu tun bekommen. Mit 17 das Abitur in der Tasche zu haben und mit 20 oder 21 den Bachelor - das mag aus wirtschaftspolitischer Sicht sinnvoll sein, aus Sicht der persönlichen Entwicklung ist es das nicht unbedingt. Wenn Schüler die individuelle Lernzeit nutzen, dann sollten sie sich also nicht ärgern, dass sie ein Jahr verloren haben. Denn sie gewinnen Wissen und Erfahrung - und das ist sehr viel wert.

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