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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Politikverdrossenheit und zu Lobbyismus in der EU: "Mehr Bürgernähe" von Hanna Vauchelle

Regensburg (ots)

Sieben Monate sind es nur noch bis zur Europawahl. Und schon prophezeien Umfrageinstitute dicke Zuwächse für Anti-EU-Parteien und Rechtspopulisten. Während man sich in Brüssel bange fragt, was gegen die drohende feindliche Übernahme getan werden könnte, wird das Naheliegende oft übersehen: Europa braucht mehr Transparenz. Denn dass die EU-Gegner Zulauf bekommen, liegt zweifellos auch daran, dass Brüssel zunehmend als undurchsichtiger Moloch wahrgenommen wird, in dem Bürokraten und Konzerne miteinander kungeln. Die EU muss aber ihre Bürger mitnehmen. Ob die große Eurokrise oder die geplanten Eingriffe in kommunale Angelegenheiten wie die Wasserversorgung - das Ansehen der EU hat in den vergangenen Monaten Kratzer abbekommen. Das Stichwort von der Europa-Verdrossenheit hat die Mitgliedsstaaten eingeholt. Dass darüber hinaus Großkonzerne wie der Tabak-Multi Philipp Morris scheinbar mühelos ihre Interessen in den Gesetzestexten unterbringen, tut sein Übriges hinzu. In den letzten Wochen haben sich die Vorfälle von wirtschaftlicher Einflussnahme erschreckend gehäuft. So wurde zuerst die Tabakrichtlinie verwässert, dann verschob man die entscheidende Abstimmung über strengere CO2-Grenzwerte für Autohersteller auf unbestimmte Zeit. Auch die Datenschutzverordnung befindet sich unter Dauerbeschuss der betroffenen Firmen. Daran wäre im Grunde nichts auszusetzen. Schließlich muss es auch Konzernen erlaubt sein, sich in einer demokratischen Gesellschaft am Gesetzgebungsprozess zu beteiligen. Doch die Art und Weise, wie dies in Brüssel geschieht, ist inakzeptabel. Die pure Macht der Lobby-Front von Unternehmen zeigt nicht nur, dass die Zivilgesellschaft in Brüssel unterrepräsentiert ist. Sie zeigt auch, dass das bestehende, freiwillige Transparenz-Register nicht funktioniert. Zu viel bleibt noch immer im Dunkeln und führt dazu, dass Lobbyismus als schmutziges Geschäft wahrgenommen wird. Dabei müsste es eigentlich selbstverständlich sein: Europas Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, wer mit welchem Budget und in wessen Auftrag versucht, Einfluss auf welche EU-Politiker zu nehmen. Dies kann nur über ein verpflichtendes Register geleistet werden. Noch einmal: Brüssel und vor allem das Europaparlament braucht die Lobbyisten. Schließlich können die Abgeordneten selbst nicht auf allen Gebieten ausgewiesene Experten sein. Doch wenn sich jemand in einen Gesetzgebungsprozess, der am Ende 500 Millionen Menschen betrifft, einbringt, muss klar sein, wer dahintersteht und welche finanziellen Interessen im Spiel sind. Sicherlich, das verpflichtende Register hat auch seine Grenzen. Nämlich dann, wenn sich die Bundeskanzlerin persönlich als Ober-Lobbyistin beteiligt und den deutschen Autobauern so härtere Auflagen zu CO2-Grenzwerten erspart. Es ist ein allgemeines Problem, dass Politik in der EU noch immer viel zu häufig in Hinterzimmer-Deals gemacht wird. Die 28 Staats- und Regierungschefs wollen sich um keinen Preis in die Karten sehen lassen. Das trifft bisher auch auf wichtige Personalentscheidungen zu. Um die Besetzung von Topjobs wird in der EU wie auf dem Basar gefeilscht. Zumindest hier gibt es nun einen Lichtblick. Der Posten des Kommissionspräsidenten soll an den Spitzenkandidaten jener Parteienfamilie gehen, die bei der Europawahl die meisten Stimmen erhalten hat. Darauf hat sich das Europaparlament eingeschossen, allein die Mitgliedsstaaten mauern noch. Dabei wäre dies nach Einführung der EU-Bürgerinitiative ein weiterer Schritt Richtung Bürgernähe. Der EU kann dies nur guttun.

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