Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu große Koalition/SPD-Mitgliederentscheid: "Unter dem Weihnachtsstern" von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste (...) Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt", heißt es im Lukasevangelium. Das klingt fast nach dem, was in der SPD in diesen vorweihnachtlichen Tagen geschehen ist. Man hat abgestimmt, jetzt wird gezählt. Das erste Mal in der Geschichte hat die Basis der Partei entscheiden dürfen, ob wir, die Wähler, am Ende auch das bekommen, was wir gewählt haben. Mal ehrlich: Hat das sein müssen? Aus SPD-Sicht wohl schon. Aber, so ganz unweihnachtlich: Unter einem guten Stern steht diese Koalition deswegen nicht unbedingt. Die Sozialdemokraten, eigentliche Verlierer dieser Wahl, haben geschafft, was gemeinhin nur die CSU zustande bringt: Alle haben sich nach ihr richten müssen. Das ist eine späte Genugtuung für die Gabriel-Truppe und es mag ihr helfen, die kommenden Jahre gut zu überstehen. Nicht zuletzt will der Parteichef auf seinem Posten bleiben, und das kann er nur, wenn in der Partei nicht wieder die Flügelkämpfe aufkommen, die während und nach der letzten großen Koalition der SPD das Leben schwergemacht haben. Geht alles gut, kann Gabriel am Ende schriftlich belegen, dass seine Partei doch genau das wollte, was er und die anderen sozialdemokratischen Minister in Berlin versuchen umzusetzen. Das klingt auf dem Papier gut, aber mit dem zu erwartenden großen Rückhalt, den die Genossen ihrer Parteiführung geben, sind wir bei einem Pro-blem angekommen, unter dem schon die letzte Koalition zumindest in den ersten Monaten ihrer Amtszeit gelitten hatte: der Kraftmeierei. Die christlich-liberale Koalition war vor allem eine Zweckehe, eine Wunschpartnerschaft, bei der aber der Wunsch stärker war als die Partnerschaft. Die FDP konnte vor Kraft kaum laufen und glaubte daher, sie müsse sagen, wie man es richtig macht. Ihren Konter fand sie nicht in der Warten-wirs-ab-CDU von Angela Merkel, sondern in der vor allem verbal starken CSU. Heute, in der sich anbahnenden CDU/CSU/SPD-Koalition herrscht dieselbe Ausgangslage, nur dass die CSU mit dem Bewusstsein einer absoluten Mehrheit auf eine SPD trifft, die sich schriftlich hat geben lassen, dass sie den anderen Paroli geboten hat - und damit auch weiter Druck machen wird. Das ist alles legitim, deutet aber darauf hin, dass die große Koalition,Teil 3 vor allem mit sich selbst beschäftig sein wird. Jüngstes Beispiel ist die am Donnerstag aufgetauchte Spekulation, dass die selbst ernannte CDU-Allzweckwaffe Ursula von der Leyen wohl Gesundheitsministerin wird, die aber aus dem Arbeitsministerium das Thema Rente mitbekommt. Im Gegenzug bekommt die SPD offenbar das Wirtschaftsministerium, das die Energiewende als Thema von einem CDU-geführten Umweltministerium zugeordnet bekommt. Klar: Jede Koalition versucht, eine gerechte und zielorientierte Verteilung von Posten und Aufgaben zu erreichen. Und wenn das hilft, die Zukunftsfragen besser angehen zu können, dann geht das auch in Ordnung so. Doch die große Vision, etwas wie eine Agenda 2020, fehlt dem Koalitionsvertrag, weil er aus der Notwendigkeit geboren wurde, drei Partner zusammenzubringen, die nicht geplant hatten, zusammenzuarbeiten. Wie gesagt, Weihnachten steht vor der Tür. Und in der Weihnachtsgeschichte steht auch, dass drei Weise einem Stern folgten, der sie am Ende zum Ziel führte. Ein Schelm, wer da an Sigmar Gabriel, Horst Seehofer und Angela Merkel denkt. Zumindest sind sie zu dritt. Ihre Weisheit stellen sie hoffentlich bald unter Beweis. Die Bürger warten schon seit September.
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