Mittelbayerische Zeitung: In dunklen Ecken - Die CSU beherrscht die Kunst der Provokation. Aber sie überspannt den Bogen. Von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Eines muss man der CSU lassen: Sie weiß, wie man es macht. Jedes Jahr, kurz vor Weihnachten, lanciert sie ein Thema, das über die ruhige Zeit der Feiertage bis ins neue Jahr für Schlagzeilen sorgt - und dann steht schon die Winterklausur der Bundestagsabgeordneten vor der Türe. Zum Jahreswechsel 2013/2014 war es die Armutsmigration. Egal, wie man den Slogan: "Wer betrügt, der fliegt!" findet - seit Weihnachten entrüsten sich landauf, landab Koalitions- wie Oppositionsmitglieder darüber. Das ist clever. Allerdings ist das Thema viel zu komplex, um auf Stammtischniveau heruntergezogen zu werden. Zumal die CSU das derzeit überhaupt nicht nötig hat. Parteichef Horst Seehofer ist in Wildbad Kreuth nicht müde geworden zu betonen, dass es gut läuft. Das ist so. Er wird auch nicht müde zu sagen, dass es keinen Streit gibt, weder mit dem Koalitionspartner SPD, noch intern. Das ist seine Darstellung. Wenn die SPD die Vorratsdatenspeicherung zur Disposition stellt, die CSU an der Rente mit 63 schrauben will oder den Mindestlohn nachbessern möchte, kann man schon von Diskussionsbedarf sprechen. Oder von Streit, zumindest von drohendem. Und wenn die eigene bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner per Interview auf ein Interview ihres Chefs antwortet und sagt, es reiche nicht, immer Nein zu sagen - im konkreten Fall zu ihrem Vorschlag, die Kosten der Energiewende durch Schulden abzumildern - dann kann man das ebenso als Streit sehen. Der Disput mit der SPD ist nützlich. Denn er sorgt, wie alles andere, dafür, dass die Partei Aufmerksamkeit bekommt und ihr Profil unter Beweis stellen kann. Den internen dagegen muss Seehofer klein halten. Und das hat er erfolgreich getan. Denn in den kommenden Monaten stehen die Kommunalwahlen und danach die Europawahl an. Seehofer hat sich 2013 selbst die Messlatte hoch gelegt. In Bayern regiert seine Partei mit absoluter Mehrheit und in Berlin hat sie wieder drei Ministerposten bekommen. In den Rathäusern und Landratsämtern sollen nun auch möglichst viele Christsoziale regieren und in Europa soll die Stimme der bayerischen Staatspartei auch weiterhin laut und deutlich zu hören sein. Weil also nach der Wahl immer vor der Wahl ist, hat die CSU dieses Jahr zwei Dinge gemacht: Sie hat ein Thema gewählt, das polarisiert - die angebliche Armutsmigration - und sich zum "Korrektiv" der gerade erst mühsam ausgehandelten Koalition stilisiert, das vermeintliche Fehler des gemeinsamen Vertrags ausmerzen will. Letzteres ist legitim, wenngleich sich die Frage stellt, warum man Dinge vereinbart, die man nicht so umsetzen will, wie man sie festgehalten hat. Bei der "Wer betrügt, der fliegt!"-Debatte hat die Partei vielleicht ihr Ziel der maximalen Aufmerksamkeit erreicht. Sie hat damit aber auch am rechten Rand gefischt, egal wie sehr sie es abstreitet. Und das ist höchst problematisch. Ja: Inhaltlich deckt sich die CSU-Forderung mit dem Koalitionsvertrag. Zugespitzt und vereinfacht hat sie die CSU. Sie ist keine fremdenfeindliche Partei. Aber sie schürt gerne einmal Ängste, im Fall der Armutszuszuwanderung noch dazu unberechtigte. Aber Überfremdungsängste greifen immer, nicht nur in Deutschland, und gerade beim konservativen Klientel. Dahinter steckt aus Sicht der Partei die Überlegung, dass man Themen aufnehmen muss, die sonst von den Rechten besetzt werden könnten. Vor der Europawahl ist die Furcht vor einem Rechtsruck in der EU nicht unberechtigt. Aber dumpfe Parolen wecken immer dumpfe Gefühle. Auch wenn Bulgarien und Rumänien im umstrittenen Papier der CSU-Landesgruppe nicht genannt werden: Es kam auf dem Markt, just bevor für beide Länder die Freizügigkeit in der EU in Kraft trat. Dass weder Bulgaren noch Rumänen in Scharen ins Land kommen und "unser Geld" wollen, ist Fakt. Nur werden beide nun in der Wahrnehmung vieler Menschen "Sozialschmarotzer" sein. Die CSU ist eine erfolgreiche Partei; aber der Erfolg alleine rechtfertigt noch lange nicht alle Mittel. Im Gegenteil: Er verbietet sogar manche, vor allem solche, die aus den dunklen Ecken der Biertische stammen, wo Konservatismus auf Chauvinismus stößt. Dass dort noch immer eine Quelle der Inspiration für eine Partei sprudelt, die inhaltlich wesentlich mehr kann und strategisch eine der bestaufgestellten in Deutschland ist, ist so anachronistisch wie traurig - ebenso wie die Tatsache, dass viele Wähler derlei Aus-der-Zeit-Gefallenem applaudieren.
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