Mittelbayerische Zeitung: Ende der Zurückhaltung?
Bei Konflikten militärisch mehr Verantwortung zu übernehmen, wäre die Abkehr von Merkels Politik. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
leich zu Beginn ihres neuen Amtes als Bundesverteidigungsministerin produzierte Ursula von der Leyen schöne Bilder als treusorgende "Mutter der Kompanie" bei den Bundeswehrsoldaten am Hindukusch, für die sie ordentliche Ausrüstung anmahnte. Das war zweifellos notwendig. Dann preschte sie mit dem Vorstoß für eine familienfreundliche Armee und Teilzeit-Soldaten nach vorn. Der Beifall war ihr jedes Mal gewiss. Doch nun strebt die ehrgeizige Niedersächsin auf einem Feld voran, dass im Fall von Deutschland mit dem Hinweis auf "militärische Zurückhaltung" geradezu vermint ist. Von der Leyen will die deutschen Truppen in Mali aufstocken und zeigt sich offen für Einsätze auch bei anderen Konflikten, anderswo auf der Welt, in der bürgerkriegsgeschüttelten Zentralafrikanischen Republik etwa. Die Verve und das Tempo, mit der die aufstrebende CDU-Frau eine bisherige Konstante der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik schleifen will, überrascht doch sehr. Es wäre zudem eine Abkehr von der bisherigen, eher zurückhaltenden Außenpolitik der Kanzlerin. Die Frage ist, ob von der Leyen einen Kurswechsel mit oder ohne das Wissen Angela Merkels vorbereitet? Auslandseinsätze der Bundeswehr sind zudem nicht irgendein Feld, auf dem man sich politisch profilieren könnte, sondern es geht in letzter Konsequenz auch um Leben und Tod von Soldatinnen und Soldaten. Bislang hat sich Deutschland wohltuend zurückgehalten. Und das sollte auch so bleiben - selbst wenn die Partner in Paris, London oder Washington seit Langem drängen. Dabei steht die Bundeswehr bereits in Dutzenden Einsätzen unter Uno- oder zumindest Nato-Flagge. Etwa dem Afghanistan-Einsatz, in den die Bundeswehr unter Kanzler Gerhard Schröder in übergroßer Treue zu George W. Bush mehr oder weniger hineingestolpert ist. Mit schweren Verlusten unter den Soldaten von Bundeswehr und Alliierten sowie Tausenden getöteten Afghanen. Und mit nur wenigen Erfolgen beim Aufbau eines eigenständigen nicht-islamistischen Staates. Nicht viel hat sich verbessert am Hindukusch. Wenn von der Leyen nun als Begründung eines stärkeren Eingreifens der deutschen Armee anführt, wir dürften nicht zur Seite schauen, wenn Mord und Vergewaltigung auf der Tagesordnung stünden, dann liefert sie eine vor allem moralische Begründung für den Truppeneinsatz. Doch nur auf die Moral zu verweisen, reicht bei Weitem nicht aus. So sehr die Entrüstung über Völkermord, Vergewaltigung, Folter und Vertreibung auch nachzuvollziehen ist. Die moralische Empörung über Verbrechen und Unrecht auf dieser Welt ist kein hinreichender Grund, um die Bundeswehr in Marsch zu setzen. Noch dazu dient das moralische Argument häufig zur Verschleierung der wirklichen Interessen - denen an Bodenschätzen zum Beispiel. Nähme man von der Leyens Anspruch ernst, dann gäbe es viele Länder und Regionen, in denen deutsche Soldaten eingreifen müssten. Allein auf dem afrikanischen Kontinent wären es wohl ein Dutzend, etwa Ruanda, Sudan, Südsudan, Somalia. Und was ist mit Syrien? Von der Leyen lässt zwei wichtige Dinge außer Acht: Erstens kann die Bundeswehr nicht überall auf der Welt als "bewaffneter Friedensstifter" auftreten. Und zweitens haben rein militärische Interventionen noch nirgendwo dauerhaft Hunger, Unterdrückung und Diktatur beseitigt. Es bedarf vielmehr eines abgestimmten internationalen Vorgehens, militärischer, humanitärer und entwicklungspolitischer Mittel, um massenhaften Mord und Vertreibung zu beenden.
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