Mittelbayerische Zeitung: Obama muss führen - Hybrid-Krieg in der Ukraine und der Terror des Islamischen Staates - Die Nato braucht neue Strategien. Von Thomas Spang
Regensburg (ots)
Seit dem Fall der Mauer hat die Nato nach einer neuen Aufgabe gesucht. Mangels unmittelbarer Gefahren drohte das Bündnis zu erschlaffen. Die Gipfeltreffen verbreiteten so viel Langeweile, dass der damalige US-Verteidigungsminister Robert Gates 2009 sein Personal anwies, ihm Kreuzworträtsel einzupacken. Als die Regierungschefs über die Tagesordnung für das diesjährige Herbsttreffen nachdachten, fiel ihnen nicht allzu viel ein. Rückzug aus Afghanistan, Ruhe in Europa und wenig Interesse, im Mittleren Osten aktiv zu werden. Welchen Unterschied ein paar Monate ausmachen können. Im Osten stellt Wladimir Putin den Nachkriegskonsens in Frage, Grenzen in Europa nicht mit Gewalt zu verändern. Im Süden bedroht der Terror des "Islamischen Staats" die Sicherheit. Langweilig wird es garantiert nicht, wenn heute in Wales die 28 Nato-Mitgliedsstaaten zu ihrem Gipfel zusammen kommen. Der Nato fehlt eine Strategie, wie sie mit dem Hybrid-Krieg umgehen soll, den Wladimir Putin im Osten der Ukraine vom Zaun gebrochen hat. Dort marschieren russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen ein, um angeblichen Separatisten zu helfen. Derweil verbreitet Moskau gezielt Fehlinformationen, die das Nachbarland für die militärische Aggression verantwortlich erscheinen lassen. Begleitet wird die durchschaubare Kampagne von anonymen Cyberattacken. Skrupellos setzt sich der Kreml so über Vereinbarungen hinweg, die das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland nach Ende des Kalten Krieges bestimmt haben. Allen voran die Nato-Russland-Grundakte von 1997. Sollte Putin diese Blaupause im Baltikum wiederholen, stünde das Bündnis vor einem ernsthaften Problem. Genauso wenig können die Partner dem Treiben des sogenannten "Islamischen Staats" in Syrien und Irak tatenlos zuschauen. Wenn der Westen die Terror-Brigaden dort nicht bekämpft, dürften sie in nicht allzu ferner Zukunft vor der eigenen Haustüre stehen. Die Enthauptung Steven Sotloffs durch die ISIL unterstreicht, wie real die Gefahr ist. Es ist der zweite Gefangene, den die Extremisten innerhalb von nur zwei Wochen vor laufender Kamera abschlachteten. Und leider dürfte es nicht der Letzte bleiben. Trotz der Verantwortung für das Desaster im Irak kann dieses Problem nicht der Supermacht allein zugeschoben werden. Sotloffs mutmaßlicher Mörder hat einen britischen Akzent. Viele der brutalsten Kämpfer strömten als Dschihad-Touristen aus Europa nach Syrien und in den Irak. Diese stellen eine ganz reale Gefahr da, wenn sie abgestumpft und abgehärtet aus dem Krieg zurückkehren. Der "Islamische Staat" bedroht die Sicherheit aller Nato-Mitglieder. Barack Obama steht vor der Aufgabe, die Führung im Bündnis zu übernehmen. Dabei muss er vor allem den Balten und Polen rückversichern, dass die Supermacht keinerlei Provokationen Putins erlauben wird. Weder offen, noch mit "grünen Männchen". Falls sich Russland anhaltend über den Geist der Grundakte von 1997 hinwegsetzt, darf auch die Einrichtung von permanenten Nato-Basen kein Tabu mehr sein. Im Mittleren Osten liegt es an den USA, im Eiltempo eine Strategie zu formulieren, die das Versprechen einlösen kann, das Terror-Kalifat zu zerstören ohne die Sunniten zu verprellen. Dafür benötigt wird eine regionale Koalition, die Bodentruppen liefert und von der Nato logistische Unterstützung erhält. Die Doppelkrise im Osten Europas und Mittleren Osten fordert das transatlantische Bündnis stärker heraus, als sich die Mitgliedsstaaten vor Jahresfrist noch gedacht hatten. Die Nato muss sich beiden Aufgaben stellen.
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