Mittelbayerische Zeitung: Neues Asylrecht ist nötig: Ein Bleiberecht für alle kann es nicht geben. Aber ein Angebot müssen wir allen machen. Von Christine Strasser
Regensburg (ots)
Die unter der Flagge Sierra Leones fahrende "Ezadeen" ist ein 73 Meter langer Frachter, 1966 gebaut, vorgesehen für Viehtransporte. Als die italienische Küstenwache den Frachter am Freitag in Obhut nahm, war er vollgepfercht mit Flüchtlingen und trieb auf die Küste zu. Die Crew hatte das Schiff seinem Schicksal überlassen, als der Treibstoff alle war. Einem der rund 450 Flüchtlinge an Bord war es gelungen, einen Notruf abzusetzen. "Wir sind ohne Besatzung, wir steuern auf die italienische Küste zu und wir haben niemanden, der steuern kann", zitierte die Küstenwache den Hilferuf. Niemand am Steuer. Es ist zynisch, aber genau das ist ein sehr passendes Bild für die Einwanderungsgesetzgebung in Deutschland. Eine Reform des Asyl- und Einwanderungsrechts wird zwar seit Jahren immer wieder angemahnt, aber herangewagt hat sich nie jemand. Ein legales Einwanderungssystem gibt es nicht. Und das Thema wird wohl auch weiter vernachlässigt. Nach der Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin und den Reaktionen darauf zeichnet sich ab, in welche Richtung die Einwanderungsdebatte in nächster Zeit steuern wird. Die Schreihälse von Pegida, die Hass und Vorurteile schüren, werden getadelt. Moralische Keulen werden geschwungen. Das geschieht natürlich zu Recht. Mit den falschen Pegida-Parolen lässt sich keine Zukunft gestalten. Andererseits kommt bei dem ganzen Geschrei aber niemand mehr zu Wort, der sich mit dem zentralen Ort, dem Einwanderungsland Deutschland, beschäftigen will. Das deutsche Asylrecht ist in die Jahre gekommen, und zwar nicht seines vermuteten Missbrauchs wegen, sondern weil es die Lebenswirklichkeit kaum noch abdeckt. Klassische Verfolgung durch einen Staat spielt nur bei einem Bruchteil der Asylanträge noch eine Rolle. Das macht die Lage der Betroffenen aber nicht weniger schrecklich. Zu einem großen Teil liegen die Ursachen für den Anstieg der Flüchtlingszahlen in Bürgerkriegen. Über ein Viertel der Menschen, die in diesem Jahr in Deutschland Erstanträge auf Asyl stellten, kam aus Syrien und dem Irak. Alle diejenigen, die man nicht als Verfolgte bezeichnen kann, sondern die keine Möglichkeit sehen, ihren Lebensunterhalt zu Hause zu sichern, sind vom System nicht vorgesehen. Restlos alle können erst dann in Deutschland Asyl beantragen, wenn sie es über lebensgefährliche Wege hierher geschafft haben - illegal, ein legale Einreise ist nicht möglich. Vor allem eine Losung macht gerade die Runde: Grenzen zu, Asylverfahren beschleunigen, Abgelehnte schneller abschieben und fertig. Aber das ist zu wenig. Natürlich kann Deutschland nicht jeden aufnehmen, der sich auf den Weg hierher macht. Ein Bleiberecht für alle kann es nicht geben. Aber es muss auch für alle, die keine Hochschulabsolventen sind, Möglichkeiten geben, legal einzuwandern, und es muss ein Angebot für alle geben. Der Präsident des Städtetags, der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly, hat dieses Angebot als das "kommunale Räderwerk" der Integration beschrieben. Tausende hilfsbereite Bürger treiben dieses Räderwerk an. Das reicht vom Kindergarten über Sprachkurse und Schule bis zur Vermittlung eines Jobs oder Ausbildungsplatzes. Diese engagierten Bürger bejahen Zuwanderung. Um zu zeigen, dass sie diese Bürger ernst nehmen, sollten die Innenminister eine Debatte mit Substanz über ein neues Einwanderungsgesetz starten. Wenn die Politik Stimmung als Motiv heranzieht, dann bitte beide Seiten. Abgesehen davon: Wirtschaftlich ist Deutschland schon in naher Zukunft auf noch viel mehr Zuwanderer angewiesen, will es seinen Wohlstand auch nur annähernd sichern.
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