Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Griechenland: Souveränität oder Euro von Martin Anton
Regensburg (ots)
Die Einigung im griechischen Schuldenstreit zeigt: Eine Debatte um das Wirtschaftsmodell darf es nicht geben.
Unter dem Hashtag #ThisIsACoup (deutsch: Dies ist ein Staatsstreich) haben nach der Einigung im Streit um die griechischen Schulden Hunderttausende Nutzer des Kurznachrichtendiensts Twitter weltweit die Bevormundung der Regierung in Athen durch die Institutionen kritisiert. In der Tat liest sich das Abschlussstatement nach dem nächtlichen Gipfel wie eine Entmachtung der demokratischen Strukturen in Griechenland. Es zeigt, dass es in der Welt von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Union keine Alternative zum bestehenden Wirtschaftsmodell geben darf. Die Maßnahmenliste liest sich wie ein IWF-Programm aus den 60ern: Privatisierung, Kürzung der staatlichen Ausgaben - sprich Sozialausgaben -, und eine "rigorose Überprüfung" von Tarifverträgen und Bestimmungen zum Kündigungsschutz. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Griechenland mit diesen Maßnahmen nach und nach die Liste der Indikatoren abhaken kann, die als Zeichen für eine funktionierende Volkswirtschaft gelten. Ob es den Griechen deswegen in einigen Jahren besser geht, ist in diesem Modell zweitrangig. Wahrscheinlich ist, wenn man sich die Bilanz der IWF-Politik in Asien, Afrika oder Lateinamerika anschaut, eine auf Jahrzehnte zementierte Abhängigkeit von den Geldgebern. Während andernorts schon wieder gezweifelt wird, ob es so klug war, Güter der Daseinsvorsorge zu privatisieren, können Investoren aus aller Welt auf der Website des Griechischen Treuhandfonds HRADF wählen zwischen griechischen Stränden, Inseln, dem Flughafen Athens, Athens Wasserversorgung, der griechischen Post, Autobahnen, Häfen, der staatlichen Stromgesellschaft, und so weiter. Neben der öffentlichkeitswirksamen Twitter-Empörung gibt es natürlich nach wie vor andere Stimmen, die "Keinen Cent mehr" (Magazin Focus) für die Griechen ausgeben wollen - und es schwingt immer der Vorwurf der Faulheit, der Nehmermentalität mit. 216 Milliarden Euro Hilfskredite hat Griechenland seit 2010 bekommen, jetzt sollen noch mal bis zu 86 Milliarden hinzukommen. 300 Milliarden Euro sind eine Menge Geld - und zufällig die gleiche Summe, die Großbritannien zur Rettung seiner Banken zwischen 2008 und 2011 in Anspruch genommen hat, in Deutschland waren es 259 Milliarden Euro. Insgesamt wurden von den fünf Billionen Euro, die für die Bankenrettung bereitstanden, 1,6 Billionen - ja, das sind 1600 Milliarden - in Anspruch genommen. Wie viel davon am Ende Steuerzahler zahlen, bleibt unklar. Doch in der EU geht es schließlich um Solidarität. Solidarität, die auch Deutschland erfahren hat, als das Land vor der Finanzkrise jahrelang die Neuverschuldungs-Defizit-Vorgaben der Union nicht einhalten konnte - straffrei, ohne IWF-Aufpasser, bis schließlich die Regeln aufgeweicht wurden. Aufgeweicht wird auf britischen Wunsch wohl demnächst auch wieder die Bankenunion, die Steuersparer bei Bankeninsolvenzen entlasten soll. Es kommt also darauf an, wer Regeln bricht oder Kredite haben möchte. Eine linke griechische Regierung hat weder von der EU-Kommission noch vom IWF viel zu erwarten. Das Verhandlungsergebnis funktioniert auch als Abschreckung für Portugiesen und Spanier, sich gegen die IWF-Auflagen vielleicht doch wehren zu wollen. Für Athen bedeutet die Abmachung Schuldenspirale statt Schuldenschnitt - und für Deutschland Zinseinnahmen aus den Krediten: 360 Millionen Euro waren es in den Jahren 2010 bis 2014. Die Alternative für Athen? Stand bei einer früheren Version des Abschlussdokuments ganz unten, nur ein Satz: "Kommt es zu keiner Einigung, sollten Griechenland Verhandlungen zu einem temporären Euro-Austritt angeboten werden, mit möglicher Umschuldung." Das griechische Parlament darf also doch entscheiden: Souveränität oder Euro.
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