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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Christian Kucznierz zum CDU-Parteitag

Regensburg (ots)

So gut wie einstimmig hat der CDU-Parteitag dem Antrag zur Flüchtlingspolitik zugestimmt. Und das, obwohl im Vorfeld gefürchtet wurde, dieser Parteitag könnte für die Vorsitzende zum Debakel werden. Er wurde es zumindest am ersten Tag nicht. Das hat viel damit zu tun, dass Angela Merkel ihre Kritiker verstummen ließ. Mit einem Kompromiss, von dem man zurecht behaupten darf, dass er zu ihren Gunsten ausging. Aber mit allem anderen hätte sich die CDU auch keinen Gefallen getan. Dem Land auch nicht. Merkel hat einmal mehr deutlich gemacht, dass es gute Gründe dafür gibt, warum das Magazin "The Economist" sie kürzlich als "unverzichtbare Europäerin" bezeichnet hat. Man müsste spätestens nach ihrer gestrigen Rede und dem Votum für ihre Politik hinzufügen: Sie ist auch die unverzichtbare Parteivorsitzende - wahrscheinlich auch die unverzichtbare Kanzlerin. Das liegt nicht an ihren rednerischen Fähigkeiten. Die sind, und das hat sie beim Parteitag einmal mehr gezeigt, nicht brillant. Es liegt an etwas Neuem im Merkel-Land, etwas, das lange fehlte und das ebenso lange als fehlend kritisiert wurde: Es gibt eine Vision. Die Kanzlerin hat sie vor ihrer Partei erneut dargelegt, sie hat sie damit aber auch den Menschen, die ihre Politik zuletzt äußerst kritisch beäugten, noch einmal erklärt. Merkels Parteitagsrede war eine Regierungserklärung. Allerdings keine neue Agenda 2010 mit konkreten Maßnahmen, mehr eine Skizze dessen, was ihr vorschwebt und wofür sie derzeit kämpft. Das Deutschland in der Merkelschen Vision schafft es, die Herausforderungen zu bewältigen, vor welche die enorme Zahl von Flüchtlingen das Land stellt. Ihr Deutschland ist eines, dass die Globalisierung als Chance begreift. Ja, sie hat ihren Kritikern zugestanden, dass etwas getan werden muss. Dass die Zahl der Flüchtlinge reduziert werden muss. Sie hat allerdings nicht gesagt, was sie dafür machen wird - außer das, was bereits von ihrer Regierung beschlossen ist. Sie hat keine Obergrenzen genannt. Sie hat die Partei um den Finger gewickelt. Auch, weil die CDU weiß, dass sie niemanden in Merkels Liga hat. Wer jetzt Wolfgang Schäuble sagt, hat nicht gemerkt, welchen Einfluss die Kanzlerin auf die Weltpolitik hat. Die Kür zur "Person des Jahres" durch das "Time" Magazin ist nur der deutlichste Ausdruck dessen. Weil aber die Partei niemanden hat, der sie führen und das Land international an der Spitze halten kann, ist sie Merkel ausgeliefert. Das birgt ein großes Risiko: für die CDU, für Merkel, für das Land. Doch was sind die Alternativen? Im bürgerlichen Spektrum sind sie nicht vorhanden. Die AfD mag von der spaltenden Debatte über das Wohin der deutschen Gesellschaft profitieren, doch die Toleranz gegenüber völkischen Ideen disqualifiziert sie. Und andere Antworten als die Grenzen zu schließen hat sie nicht. Wer sieht, was geschlossene Grenzen in Europa bewirken, weiß, dass dies keine Lösung ist. Wie die aussehen könnte, steht in dem Antrag, den die CDU beschlossen hat. Er beinhaltet, die europäischen Grenzen zu sichern und dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge in den Erstaufnahmeländern wie der Türkei versorgt werden können. Er sieht vor, sich auf internationaler Ebene für eine Ende des Kriegs in Syrien einzusetzen. Es sind Aufgaben von Merkel für Merkel. Die Kanzlerin stand lange für die Wahrung des Status Quo. Doch der ist uns abhanden gekommen. Nicht durch das Zutun Merkels ist die Welt über uns hereingebrochen, aber mit ihrem Zutun hat sie den unvermeidlichen Wandel, dessen Ausdruck die Flüchtlingskrise und dessen Name Globalisierung ist, auch zu einer deutschen Verantwortung gemacht. Dem setzt sie eine Vision entgegen. Solange sich niemand findet, der eine bessere hat und imstande ist, sie umzusetzen, ist sie die beste, die wir haben.

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