Mittelbayerische Zeitung: Bleibt alles anders - Die Übergriffe in Köln verändern vieles. Die eigentlichen Probleme werden nicht verschwinden. Von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Allein der kurze Weg zur Toilette ist der reinste Spießrutenlauf. Drei Umarmungen von wildfremden, besoffenen Männern, zwei Klapse auf den Hintern, ein hochgehobener Dirndlrock und ein absichtlich ins Dekolleté geschütteter Bierschwall sind die Bilanz von dreißig Metern." Das schreiben Karoline Beisel und Beate Wild in der "Süddeutschen Zeitung" im Jahr 2011. Und weiter: "Es ist Samstag, 11 Uhr morgens im Hofbräuzelt. Der Wiesn-tag hat gerade angefangen." Was in Köln an Silvester geschah und was sich in Hamburg und anderen Städten offenbar auch zutrug, ist durch nichts zu entschuldigen. Köln hat Probleme offenbart: den Mangel an Polizeikräften, und, damit verbunden, die Überforderung der Beamten. Das Versagen in der Kommunikation der Vorfälle durch die Behörden. Das Bestehen von falschen Rollenbildern - die es ohne Zweifel bei Männern aus patriarchalischen Gesellschaften gibt, aber eben nicht exklusiv, siehe Oktoberfest. Und daraus resultierend der Glaube daran, dass sexuelle Gewalt toleriert wird. Oder generell, dass Frauen für Männer Freiwild sind, vor allem in bestimmten Situationen. Der Leitartikel einer Kollegin zum selben Thema wurde unter anderen so kommentiert, dass sie persönlich als dumm und naiv betitelt wurde und man ihr wünschte, sie solle doch von einem Mob umzingelt werden. Hier zeigt sich etwas, das Köln nur in letzter Instanz offenbart hat, weil es in der Flüchtlingsdebatte schon öfter ans Licht kam: dass Gewaltbereitschaft und Sexismus als legitim erachtete Teile unserer öffentlichen Debatte geworden sind. Denn: Was, wenn die Übergriffe in Köln von deutschen, oder besser, nicht-dunkelhäutigen Männern verübt worden wären? (Wobei immer klar sein muss, dass die Täter bislang weder ermittelt, noch gefasst sind.) Es würde in diesem Fall eine große Schnittmenge geben aus denjenigen, die das Ganze mit einer "habt euch nicht so"-Haltung abgetan hätten, und denjenigen, die jetzt am liebsten mit Fakeln und Mistgabeln hinter jungen Migranten herliefen. Nichts ist zu rechtfertigen, nichts ist zu beschönigen. Die Vorfälle müssen aufgeklärt, die Täter bestraft und, wenn es sich um Asylbewerber handeln sollte, auch abgeschoben werden. Aber Köln ist eben nicht Beweis dafür, dass "die Muslime" hinter "unseren Frauen" her wären. In einer Menge X von Menschen gibt es immer eine Menge Y von Idioten. Dass dies stimmt, wird auch beim Blick auf die Reaktionen auf Köln in den Sozialen Netzwerken sichtbar. Um was es jetzt geht, ist nicht die Schuldzuweisung. Es geht um Ermittlung. Und um Prävention. Das mit der Ermittlung wird schwer. Die Täter konnten in der Menge untertauchen. Und: Es ist der schlechten Informationspolitik der Polizei zu verdanken, dass die Nachrichten aus Köln erst Tage später einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden. Man könnte behaupten, dass die Medien die Vorfälle bewusst vertuscht haben. Der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich hat das getan. Es ist halt nur falsch. Zudem sollte sich Friedrich überlegen, warum er als Innenminister die Polizei nicht ihren Aufgaben angemessen ausgestattet hat. Oder warum er nichts dagegen unternommen hat, dass kriminelle Netzwerke in den Innenstädten von Köln und anderswo aktiv und attraktiv sind für Menschen mit Migrationshintergrund, die durch die Raster der Integrationsmaßnahmen gefallen sind - sofern vorhanden. Auch Friedrichs Parteikollege, CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, stößt ins selbe Horn. Beide geben damit denen Recht, die angstfrei und geschichtsvergessen das Wort "Lügenpresse" in den Mund nehmen. Und warum hat die CSU, öffentlichkeitsmächtig wie sie sich derzeit zeigt, nicht früher auf die Übergriffe aufmerksam gemacht, wenn es denn stimmen würde, dass "die Medien" etwas verheimlicht haben? Wohl, weil sich erst spät ein Mikrofon fand, in das man als CSU-General bekanntlich nicht dumpf genug sprechen kann. Köln wird vieles verändern. Pegida hat eine Demo angemeldet. Andere Rechte werden folgen. Vielleicht lernt die Politik, endlich nicht mehr bei der Polizei zu sparen. Köln verändert die politische Rhetorik, wobei die politischen Rhetoriker aufpassen müssen, nicht mehr zu versprechen, als sie halten können. Was Köln nicht verändern wird, ist der Irrglaube der Unbeirrbaren und Hasserfüllten. Dagegen hilft nur ein funktionierender Rechtsstaat. Und das Einstehen jedes Einzelnen: für Frieden, für Toleranz, und gegen Pauschalisierung und Hetze.
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