Mittelbayerische Zeitung: Hüter mit Mumm gesucht
Auch Sportfunktionäre brauchen jenes Selbstvertrauen, das sie von ihren Athleten fordern. Leitartikel von Claus-Dieter Wotruba
Regensburg (ots)
Selbstvertrauen ist eine Eigenschaft, die nötig ist im Sport. Wem der Mumm in den Knochen fehlt, der wird nichts erreichen. Inzwischen ist nur zu gut bekannt, dass es auch Faktoren aus Laboren gibt, die zu Erfolgen verhelfen. Der Kampf dagegen ist einer gegen Windmühlen: Tricksen und betrügen liegt eben zu sehr in der menschlichen Natur. Leider. Die Fraktion, die diesen Kampf aufgegeben hat, hält eine Freigabe von Doping für die Lösung. Motto: Es solle doch jedermanns höchstpersönliche Sache sein, wie er mit seinem Körper umgeht. Würde dieser Logik gefolgt, wäre der Sport tot. Nach ihr wären ja auch manche Gesetze zum Schutz der Allgemeinheit überflüssig. Werte? Fehlanzeige. Fairness? Braucht's das? Die obersten Hüter dieser Werte sollten die Funktionäre aller Länder sein. Sollten. In der Realität sieht die Sache anders aus. Wir lernen in diesen Tagen im Fußball und in der Leichtathletik (was nicht heißt, dass es woanders besser zugeht), dass es genau dort im Wertekanon am allermeisten mangelt. Es geht um persönliche Bereicherung, darum, gut dazustehen, Macht zu erobern, auszuüben, zu behalten, ja zu missbrauchen und bestmöglich zum eigenen Vorteil einzusetzen. Selbstbewusst geht niemand dagegen an. Siehe Leichtathletik. Dort wurde ein neuer Präsident gewählt, der den alten als "geistigen Vater" rühmte, die Aufdeckung der Machenschaften (vor der Wahl) als "Kriegserklärung an die Leichtathletik" bezeichnete und nebenbei noch dick bei einem US-Konzern im Sportartikelgeschäft involviert war. So ganz nebenbei lieferte der smarte Brite Sebastian Coe seine Topleistungen in den 1980er-Jahren ab - zu Zeiten also, die heute im Rückblick als berühmt-berüchtigt gelten. Die Fußballer wählen im Februar. Nicht wenige behaupten, dass keiner der fünf noch übrigen Kandidaten Hoffnung auf einkehrende Sauberkeit und Transparenz macht. Es passt ins Bild, dass der Leichtathletik-Weltverband im Stillen, man darf sagen klammheimlich, im Dezember in 17 von 43 Disziplinen seine Leistungsforderungen für Olympia nach unten korrigierte. Selbstverständlich ist das purer Zufall und hat nichts, aber auch gar nichts mit den Dopingenthüllungen zu tun. Jetzt folgt der deutsche Verband, der stets eigene, noch strengere Limitierungen aufstellte, und senkt seine Normen für Rio de Janeiro. Selbstbewusst tun die Deutschen das nicht, eher auf Druck, denn aus Überzeugung. Statt offensiv den Weg zu gehen, wird auch hier relativiert. Immerhin gibt man zu, dass in die Normen "nicht manipulationsfreies Material einfloss". Das ist - mit Verlaub - längst eine Binsenweisheit. Dass zu Olympischen Spielen würdige Vertreter entsendet werden sollen, steht außer Frage. Doch nur reale Ansprüche fördern reale Leistungen. Warum ein Deutscher besser sein muss als ein Athlet einer anderen Nationalität, erschließt sich nicht. Oder? Ein Wunder ist es nicht. Der Innenminister fordert Medaillen. Mehr Medaillen. Ohne Medaillen keine Förderung. Keine Förderung bedeutet kein Geld. Und ohne Geld ist alles schwierig. Ketzerisch gefragt: Spielt es bei so einer Denke überhaupt eine Rolle (übrigens auch für uns Zuschauer?), wie diese Medaillen geholt werden? Zugegeben: Es ist nicht leicht, zu beurteilen, welche Leistung wie zustande kommt. Und dennoch: Wo sind die Funktionäre, die ohne Angst, es sich mit jemandem zu verscherzen, mit jenem Selbstbewusstsein für jene eintreten, die ihre Sportart vertreten - ihre Athleten nämlich? Selbstvertrauen ist eine Eigenschaft, die Siegertypen ausmacht. Es braucht diese Siegertypen auf Funktionärsebene mindestens so dringend wie auf Sportlerseite. Nur: Wo sind sie?
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