Mittelbayerische Zeitung: Die Wurzeln des Übels /Fünf Jahre nach dem Ende des rechten Terrors sind noch immer viele Fragen offen.
Regensburg (ots)
Als vor ziemlich genau fünf Jahren, am 4. November 2011, Schüsse in einem Wohnmobil in Eisenach fielen und kurz darauf ein Wohnhaus in Zwickau in Flammen aufging, da ahnten nur wenige, was das bedeutete. Und noch heute gibt es wohl kaum jemanden, der überschauen kann, wo überall in Deutschland welche Konsequenzen aus den blutigen Taten des selbsternannten Nationalsozialistischen Untergrundes gezogen werden müssen. Als im Nachhall der Eisenacher Schüsse, mit denen sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt das Leben genommen hatten, nach und nach das ganze Ausmaß der Gräueltaten der mutmaßlichen Terroristen ans Licht kam, waren Schock und Betroffenheit groß. Seither versuchen die Richter im Münchner NSU-Prozess, mehrere Untersuchungsausschüsse, Filme, Bücher und unzählige Zeitungsartikel Antworten zu finden auf die Fragen nach dem Wie und dem Warum. Die Grausamkeit der Verbrechen wie auch das Versagen der Behörden stehen dabei im Mittelpunkt. Doch dahinter steht immer auch die eigentliche, fast noch drängendere Frage: Wie kann verhindert werden, dass so etwas noch einmal passiert? Dass Menschen in Deutschland, ausgerechnet in Deutschland, andere Menschen töten, weil sie oder ihre Familien aus einem anderen Land stammen? Wo liegen die Wurzeln eines so tiefgreifenden Ausländerhasses? Wenn ehemalige Weggefährten von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt von ihrer Kindheit und Jugend in Jena erzählen, so zeichnen sie stets das Bild einer tief zwischen links und rechts gespaltenen Szene. Von Jugendlichen, für die das Grölen rassistischer Lieder, das Tragen von Springerstiefeln und Bomberjacken, das Verspotten von Ausländern und Andersdenkenden normaler Alltag war. Und das nicht am Rande der Gesellschaft, sondern mittendrin, vollkommen unabhängig von Elternhaus und Bildungsniveau - die Radikalisierung von Uwe Mundlos, Mathematikersohn mit guten Schulnoten, steht dafür wie ein Exempel. Diese Jugend ist mehr als zwanzig Jahre her, doch es scheint, als habe sich an der Situation nicht allzu viel geändert. Im Gegenteil. Rund ein Viertel aller unter Dreißigjährigen in Ostdeutschland ist ausländerfeindlich. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Die enthemmte Mitte", die die Universität Leipzig in diesem Juni vorgestellt hat. 8,3 Prozent der 14- bis 30-jährigen Ostdeutschen befürworten eine Diktatur. Doch nun wie so oft in den vergangenen Wochen den Zeigefinger warnend-drohend-mahnend Richtung Osten zu erheben, führt in die Irre. Das zeigt eine andere, in diesen Tagen von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität veröffentlichte Studie: 56 Prozent der Bayern sind Muslimen gegenüber ablehnend eingestellt. 32 Prozent sind es Flüchtlingen gegenüber, 21 Prozent lehnen Juden ab, 19 Prozent Schwule und Lesben. Das Misstrauen gegen Fremde und Andersdenkende ist längst in der Mitte angekommen, in ganz Deutschland. Im gefühlten Dauerkrisenmodus zwischen Banken-, Wirtschafts-, Flüchtlings-, Europa- und Terrorismusmisere scheint die Bedrohung der deutschen (eigentlich noch halbwegs) heilen Wohlstandswelt immer näher zu kommen, und sie kommt immer von Außen. Das verschiebt die Grenze zwischen "Geht gar nicht" und "Man wird doch wohl nochmal sagen dürfen" bei vielen, und zwar schon längst nicht mehr nur bei den möglicherweise tatsächlich Bedrohten. Und beileibe nicht nur im Osten. Keine Frage: Mit Sicherheit war es nicht allein der Einfluss der sie umgebenden Szene, der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu mutmaßlichen Mördern machte. Es ist ein weiter Weg vom pubertären Grölen rassistischer Lieder bis zum gezielten Schuss auf einen Menschen mit ausländischen Wurzeln. Aber es ist von dort eben auch ein weiter Weg hin zu einer toleranten und mitfühlenden Gesellschaft. Besonders dann, wenn dieser Weg durch hohle Stammtischparolen und marktschreierische Angstbotschaften immer wieder blockiert wird. Und so bleibt fünf Jahre nach dem Ende des NSU vor allem eine Erkenntnis: Es sind nicht nur die Beteiligten, nicht nur die Behörden und nicht nur der Staat, die Konsequenzen aus dem Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds ziehen müssen. Es ist jeder einzelne.
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