Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Fifa/WM: Goldgräberstimmung auf dem Fußballfeld von Heinz Gläser
Regensburg (ots)
Im modernen Fußball müssen Mannschaften ihre Taktik blitzschnell anpassen und maximal flexibel sein. Die global operierenden Großorganisationen dieser Sportart scheinen indes lediglich eine Strategie zu kennen, in der die Gier die Richtung des Spiels für und mit Milliarden diktiert und jeglichen Gedanken ans Maßhalten ins Abseits stellt. Immer größer und gewinnträchtiger, dieses Kalkül haben Fifa und Uefa gleichsam verinnerlicht. Sie mögen im Gefolge diverser Skandale die Spielmacher, namentlich Sepp Blatter und Michel Platini, ausgetauscht haben, an ihrer Stoßrichtung halten sie aber unbeirrt fest. Pikant ist, dass sich der Weltverband mit der nun beschlossenen Mammut-WM an Platinis Masterplan für den europäischen Fußball orientiert. Der über die Affären gestolperte Franzose hatte seine Macht auf der Unterstützung der kleinen Mitgliedsverbände gegründet und diese unter anderem mit dem Versprechen einer Aufblähung des Kontinentalturniers geködert - mit der fast schon absurden Konsequenz, in einer eineinhalb Jahre währenden Qualifikation unter 55 Mitgliedsverbänden 24 Teilnehmer zu ermitteln, deren Zahl in 36 Spielen der EM-Vorrunde auf 16 reduziert wird. Hauptsache, immer mehr Länder können sich an den scheinbar nie versiegenden Quellen des internationalen Fußballgeschäfts laben. Die Motive der Fifa sind also höchst durchsichtig, wenn sie die kollektive Goldgräberstimmung aufnimmt und ab 2026 ihr Premiumprodukt 48 Teilnehmern öffnet. Dabei sind die Grenzen des Machbaren längst erreicht, und die Interessen kollidieren bereits jetzt auf allen Ebenen. Insofern könnte der Beschluss zur WM-Aufblähung fatale Folgen haben. Eine Sportart droht sich selbst zu banalisieren. Die Fifa hängt auf Gedeih und Verderb an ihrem Goldesel WM und schielt neidvoll auf den prosperierenden und von der Uefa dank der Champions League beherrschten europäischen Markt. Obskure Schöpfungen des Weltverbandes wie die Klub-WM und der ungeliebte Konföderationen-Pokal zeugen von Hilflosigkeit in diesem Binnenverhältnis. Die Uefa wiederum exerziert seit Jahren mit der kaum wahrgenommenen Europa League vor, wie man aus hemmungslosem Gewinnstreben heraus einen Wettbewerb ruiniert. Die Großklubs zeigen sich derweil immer renitenter, ihre üppig besoldeten, aber gestressten Stars zu den Turnieren oder lästigen Qualifikationsspielen abzuordnen. In den Topvereinen schwindet zudem die Lust, sich auf nationaler Ebene mit Habenichtsen wie Freiburg oder Mainz herumzuschlagen oder in frühen Pokalrunden über die Dörfer zu tingeln. Auf allen Ebenen drohen diese Fliehkräfte den Fußball zu erfassen. Eine WM mit 48 Startern nährt die Interessenskonflikte und verstärkt die Tendenzen, den althergebrachten Kanon der Fußball-Wettbewerbe zur Disposition zu stellen. Statt die kleinen Verbände und Vereine mehr ins Spiel zu bringen, könnten die Großen des Geschäfts auf den Gedanken kommen, sich diese mittels Vorqualifikationen und abgeschotteter Wettbewerbe für die Topklubs vom Hals zu halten. Die Fifa legt im 48er-Größenwahn nebenher Hand an die Fußballkultur, wenn sie das Unentschieden als entbehrlich erachtet. Und sie schließt mit ihrem Hang zum Gigantismus einen Großteil der Länder auf dem Erdball als potenzielle Veranstalter aus, weil diese solch ein Mega-Turnier organisatorisch schwerlich stemmen können. Mit der romantischen Idee vom Volkssport hat all das wenig zu tun. Dabei sollte auch der Fußball wissen: Er wäre nicht das erste Imperium in der Weltgeschichte, das wegen Maßlosigkeit und Überdehnung kollabiert.
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