Mittelbayerische Zeitung: "Mittelbayerische Zeitung" (Regensburg) zu Holocaust-Gedenktag:
Regensburg (ots)
Provokationen, Hetze, Tabubrüche, systematische Eskalation: Völlig ungeniert ziehen AfD-Politiker vom Schlage des Rechtsauslegers Björn Höcke alle Register, um den Hass wieder gesellschaftsfähig zu machen. Wie gefährlich das ist, zeigt aktuell der starke Anstieg antisemitischer Straftaten in Bayern. Spätestens jetzt müssten alle Alarmglocken schrillen. Rechtzeitig vor dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar meldete sich der Ober-Ideologe der neuen Rechten mit Parolen zurück, die man in dieser Vehemenz lange nicht gehört hat. Höcke beklagt die "dämliche Bewältigungspolitik" der Deutschen. Er fordert eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad". Er bezeichnet das Berliner Holocaust-Denkmal als Schande. Nein, Herr Höcke! Nicht das Denkmal ist eine Schande, sondern der Holocaust, bei dem sechs Millionen Juden von den Nazis ermordet wurden. Der gelernte Geschichtslehrer Höcke will nicht nur die Erinnerung an Auschwitz ausradieren. Er betreibt auch noch eine Täter-Opfer-Umkehr. Es wäre ein fataler Fehler, die rechten Sprüche als Einzelmeinung abzutun. Viele innerhalb und außerhalb der AfD bejubeln Höcke für solche Aussagen. Nach seiner Dresdner Rede gewann die Partei in der Wählergunst hinzu. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass eine Mehrheit der AfD-Anhänger rechtsradikale Positionen teilt. Die AfD liefert im bürgerlichen Mäntelchen die ideologische Munition, die das rechte Fußvolk anstachelt. Es rekrutiert sich aus Tausenden Neonazis, NPD-Mitgliedern, Reichsbürgern oder, wie wir seit neuestem wissen, keltischen Druiden - Gruppen, die unverhohlen zum Kampf gegen den Staat aufrufen und die zum Teil bis an die Zähne bewaffnet sind. Zum Feindbild der Rechtsextremisten zählen Juden, Ausländer, Polizisten und Politiker des sogenannten Establishments - personifiziert durch Kanzlerin Angela Merkel. Die Schlussstrichdebatte ist nichts Neues. Seit Jahrzehnten ertönt die Forderung, die Geschichte einer Revision zu unterziehen und die Diskussion über die NS-Vergangenheit zu beenden. "Wir haben genug gebüßt, wir haben genug gezahlt, wir wollen nicht ewig die Sündenböcke sein," lautet das Mantra. Geschichte kennt jedoch keinen Schlussstrich. Auschwitz ist Teil der deutschen Vergangenheit. Wer die Erinnerung daran auslöschen will, fordert Geschichtsfälschung. Beim Gedenken an die Befreiung der Konzentrationslager geht es nicht nur darum, die Erinnerung an das größte Menschheitsverbrechen wachzuhalten. Die Botschaft lautet auch, dass sich so etwas nie wiederholt. Dazu bedarf es einer Erinnerungskultur, die gepflegt werden muss - zumal die Ära der Zeitzeugen zu Ende geht. Neu an der aktuellen Debatte um die Erinnerungspolitik ist, dass es mit der AfD erstmals einer Partei im Nachkriegsdeutschland gelingt, rechte Parolen in zweistellige Wahlergebnisse umzumünzen. Dadurch entsteht ein gefährlicher politischer und gesellschaftlicher Brandsatz, zumal die Vorsitzende Frauke Petry in gewohnter Manier agiert: Sie bezeichnete Höckes Äußerungen als "Sprengstoff für die Partei". Fast im selben Atemzug forderte sie, das Grundrecht für Asyl abzuschaffen. Es entspricht dem AfD-Muster: ein Tabu brechen, vorsichtig auf Distanz gehen - und dann noch einmal draufhauen. Auch die gelernte Chemikerin Petry zeigt Geschichtsvergessenheit. Hier sei sie an eines erinnert: Die Väter des Grundgesetzes haben das Asylrecht nicht aus "Gutmenschentum" in die Verfassung geschrieben - sondern wegen der Nazi-Gräuel. Vor wenigen Jahren wäre es schwer vorstellbar gewesen, dass ein Holocaust-Gedenktag derart von der Diskussion über eine neue braune Gefahr überlagert wird. Heute erleben wir, dass sich die Höckes der Republik immer mehr herausnehmen und dass es ihnen gelingt, Minderheiten zu stigmatisieren. Der 27. Januar 2017 sollte daher ein Signal an alle Demokraten geben: Durch Deutschland muss ein Ruck gegen Rechts gehen.
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