Mittelbayerische Zeitung: Die gespaltene Walhalla
Im 175. Jahr ist es Zeit, den Bau als Geschichte anzuerkennen. Nur dann entfaltet er sein Potenzial. Leitartikel von Katharina Kellner
Regensburg (ots)
Ganze 175 Jahre steht die Walhalla nun auf dem Bräuberg über Donaustauf. An diesem Wochenende wird das Jubiläum mit Feuerwerk und Drei-Gänge-Menü gefeiert. Richtig ins Jubeln geraten wird wegen der Walhalla aber kaum jemand. Das hat einen Grund: Sie steht heute noch genauso da, wie König Ludwig I. sie bauen und einrichten ließ. Damit ist sie offensichtlich aus der Zeit gefallen. Mit Ludwigs I. in Stein gemeißelter Abneigung gegen Frankreich und seiner Überhöhung von Germanentum und "teutscher Zunge" kann die Mehrheit heute zum Glück nichts mehr anfangen. Die "Ruhmeshalle" hat uns heute nur noch etwas zu sagen, wenn wir merken, wie fremd sie uns geworden ist. Sie ist in einer demokratischen Gesellschaft ein Relikt. Deshalb muss die Walhalla endlich von offizieller Seite zu dem erklärt werden, was sie längst ist: Geschichte. Die Walhalla hat Potenzial. Doch so wie sie dasteht, kann sie es nicht entfalten. Das Bauwerk ist quasi gespalten: Anziehend draußen, aber nicht im Inneren. Rund 200 000 Besucher kommen pro Jahr. Mindestens die Hälfte geht gar nicht hinein: Sie wandert bei schönem Wetter hinauf, genießt die Aussicht über das Donautal, staunt über Klenzes griechischen Tempel, der sich in bayerischer Landschaft seltsam und zugleich grandios ausmacht. Draußen vor der Tür ist die Walhalla ein kommunikativer Ort. Doch wer drinnen die Reihen der Büsten abwandert, bekommt keine Antworten. Wer nicht zufällig eine Broschüre gekauft hat, fragt sich vergeblich, wer Michiel de Ruyter oder Herman Boerhaave waren. Nur Jugendliche auf Schulausflug haben keine Wahl. Doch was sollen sie dort drin anziehend finden? Ludwigs I. Heldengalerie ist voller Gruselfiguren: Krieger wie Scharnhorst, Blücher oder Radetzky, Antisemiten wie Richard Wagner und Turnvater Jahn. Und wie soll eine Halle, in der das Verhältnis von geehrten Frauen zu Männern 1:15 ist, eine moderne Gesellschaft repräsentieren, die sich Gleichstellung in die Verfassung geschrieben hat? Der König zielte auf eine Identifikation mit den Großen der "teutschen Zunge". Auch das hat die Wirklichkeit getilgt: Suchte das Deutschland des Jahres 2017 den Walhalla-Star, gäbe es wohl "Likes" für Barack Obama, Papst Franziskus oder moderne "Helden" wie Malala Yousafzai. Das Engagement der Kinderrechtsaktivistin und Nobelpreisträgerin ist emanzipatorisch und zukunftsgerichtet, es dient Menschen im Hier und Heute. Doch auch Yousafzai könnte die Walhalla nicht retten. Das kann nicht einmal die einzige Figur mit unbestreitbarem Identifikationspotential dort drinnen: Sophie Scholl. Die Aufstellung ihrer Büste 2003 war ein Bekenntnis zur Demokratie am einstigen Aufmarschort der Nazis. Doch es macht heute keinen Sinn, König Ludwigs I. Konzept durch Nachnominierungen in die Gegenwart zu holen. Das Aufstellen von Büsten ist rückwärtsgewandt. Es ein falsches Signal, wenn ein demokratisch verfasster Staat wie der Freistaat Bayern in Stein gehauene "Helden" aufstellen lässt, die bereits 20 Jahre tot sein müssen. Ludwigs Konzept der Walhalla wurde einst von Zeitgenossen aus ganz Europa kommentiert. Breite Aufmerksamkeit kann aber heute nur bekommen, wer dieses Konzept als etwas Vergangenes anerkennt und nicht nur Köpfe aneinanderreiht, sondern die zeitgeschichtlichen Hintergründe ihrer Aufstellung ausdeutet. Wissenswert ist zum Beispiel, wie effektiv die Nazis die Aufstellung der Büste des Komponisten Bruckner 1937 für ihren Plan nutzten, den "Anschluss" Österreichs voranzutreiben. Mit einem zeitgemäßen Ausstellungskonzept könnte die Walhalla viel mehr erzählen als nur von Biographien. Sie hat Potenzial als Dokument eines vergangenen Herrschaftsverständnisses. Der Bau regt zur Diskussion an über die eigene Identität: Was unterscheidet heutige Vorbilder von Ludwigs I. Heldengalerie? Und was sagt das über unsere Gesellschaft? Beim 200. Jubiläum könnte die Walhalla längst ein geeigneter Ort sein, um über Demokratie ins Gespräch zu kommen.
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