Mittelbayerische Zeitung: Risse im Gebälk
Die schwarz-rote Koalition muss sich nicht nur gegen Angriffe der Opposition wehren, sondern die eigenen Streitereien überwinden. Ansonsten wird das nichts. Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Man wolle das Vertrauen der Menschen durch gutes Regieren zurückgewinnen, hatte sich die SPD vor dem heftig umstrittenen Eintritt in die neue GroKo vor rund zehn Wochen selbst vorgenommen. Bei Christdemokraten und Christsozialen hieß es ähnlich. Schaut man auf die gestrige Generaldebatte im Bundestag, dann fällt die Zwischenbilanz ziemlich mau und zwiespältig aus. Die kämpferisch aufgelegte Kanzlerin verteidigte vehement den GroKo-Haushalt, der nicht sonderlich ambitioniert ist, zugleich forderte sie von der SPD Vertragstreue ein. Die Anker-Zentren für Flüchtlinge müssten ebenso kommen wie mehr Geld für die Bundeswehr. Vor allem bei Letzterem schießt die SPD heftig quer. Die Risse im GroKo-Gebälk sind nicht zu übersehen. Es sollten zuerst die Streitereien untereinander überwunden werden. Ansonsten wird das nichts mit neuem Vertrauen. Die Attacken der vielstimmigen Opposition könnte man darüber fast vergessen. Dabei sind politische Unterschiede, auch der Streit an sich, gut für die Demokratie. Die Krux bei der jetzigen GroKo ist freilich, dass unentwegt versucht wird, Festlegungen aus dem Koalitionsvertrag jeweils im eigenen Sinne umzuinterpretieren, umzudeuten und sogar umzubiegen, wie es grade passt. Die schwarz-rote Polit-Ehe war gewiss keine Liebesheirat, doch über die Einhaltung des Ehe-Vertrages sollte man sich schon einig sein. Dabei hat die jetzige CDU/CSU-SPD-Regierung noch das Glück, dass die Staatseinnahmen sprudeln. Viel schwieriger dürfte das Regieren werden, wenn die Konjunktur einbricht oder die internationale Lage noch düsterer werden sollte. Hoffnungsvoll stimmt zumindest, dass Merkel, Seehofer, Nahles und Co. in den wichtigen internationalen Fragen weitgehend übereinstimmen. Trumps Vabanquespiel mit dem Iran, das Drohen mit Strafzöllen oder die - fast - Nötigung zu mehr Verteidigungsausgaben verlangen einen kühlen Kopf und überlegtes, abgestimmtes Reagieren. Washington fällt leider auf absehbare Zeit als Krisenmanager und diplomatischer Partner der Europäer aus, obwohl man das immer wieder versuchen und die Gesprächsfäden nach Washington keinesfalls kappen sollte. Gerade weil der Chef im Weißen Haus so sprunghaft und unberechenbar ist. Hoffentlich zertrampelt Trump mit seinem diplomatischen Ungeschick nicht die zarte Hoffnung auf Entspannung auf der koreanischen Halbinsel. Nordkoreas Machthaben Kim Jong-un wird als Gegenleistung für die Einstellung seines Atomprogramms mehr verlangen als nur einen Händedruck des US-Präsidenten. Notwendig ist jetzt mehr denn je, dass Europa gegenhält, mit einer Stimme spricht, dass man sich nicht von Trump, von Russland oder wem auch immer auseinanderdividieren lässt. Die Stärkung der Handlungsfähigkeit der EU, die Reform der Gemeinschaft ist ein trockenes Schlagwort. Doch es muss nichtsdestrotrotz mit Leben erfüllt werden. Es geht nicht ohne ein starkes Europa. Und wenn irgend möglich sollten die Briten bei wichtigen Fragen mit ihren Noch-EU-Partnern an einem Strang ziehen. Bei der Aufrechterhaltung des Atomabkommens mit dem Iran könnte das gelingen. Ein stärkeres Europa, das Merkel und Co. wollen, ist auch deshalb notwendig, weil die nationalen, sogar nationalistischen Fliehkräfte in den EU-Ländern zunehmen. Demokratie, Menschenrechte, Wohlstand sind auch in Europa keine Selbstverständlichkeit. Als Fundament sind starke Volkswirtschaften, konkurrenzfähige Unternehmen unabdingbar. Die Maßnahmen der Bundesregierung, die in ihrem Haushalt vier Mal mehr für Rente ausgibt als für Bildung, reichen nicht aus, um Deutschland wirklich fit für die Zukunft zu machen.
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