Mittelbayerische Zeitung: Weniger wäre mehr: Leitartikel zum XXL-Bundestag von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Als Herzkammer der Demokratie wird der Deutsche Bundestag gern bezeichnet. Vor allem in wohlfeilen Sonntagsreden. In der tristen demokratischen Realität wächst dieses Herz von Wahlperiode zu Wahlperiode bedenklich. Seit der Bundestagswahl 2017 zählt das Bundesparlament 709 Mitglieder. So viele wie noch in der Geschichte der Bundesrepublik. Allerdings stößt dieses XXL-Parlament damit auch immer mehr an seine Grenzen. Und dabei geht es weniger um immer mehr Räume für die Volksvertreter und ihre zahlreichen Mitarbeiter, sondern vor allem um das Funktionieren dieses arbeitenden Gremiums. Auch für die oberste Volksvertretung scheint gleichsam das Grundgesetz der Bürokratie zu gelten: je mehr Abgeordnete es gibt, umso mehr werden Posten erfunden, damit jeder und jede seine, ihre Wichtigkeit beweisen kann. Hinzu kommt, dass vielköpfige Parlamente auch viel Geld kosten. Für die Abgeordnetenbezüge, für - selbstverständlich steuerfreie - Aufwandspauschalen, für die Pensionsvorsorge, für Büros, Mitarbeiter, für eine riesige Verwaltung, wissenschaftliche Dienste, Ausschüsse etc. Fast eine Milliarde Euro im Jahr überweist der Finanzminister mittlerweile an die Parlamentskasse. Der Bundestag ist uns nicht nur lieb, er ist auch sehr teuer. Je mehr Abgeordnete in ihn gewählt werden, umso mehr muss der Steuerzahler berappen. Wobei es noch die traumhafte Besonderheit gibt, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages jeweils selbst mehrheitlich über die Höhe ihrer Bezüge entscheiden. Und weil Diätenerhöhung so ziemlich das Unpopulärste ist, was der Bundestag beschließen kann, wird auch immer wieder versucht, solche Entscheidungen möglichst unbemerkt durchzuschleusen. Was natürlich gar nicht möglich ist. Um die eigentliche Kernfrage jedoch, wie viele Abgeordnete braucht das deutsche Parlament für eine effektive, bürgernahe Arbeit tatsächlich, drücken sich nicht nur Politik, Parteien und Fraktionen, sondern auch die übrige Gesellschaft herum. Seit Jahren. Dass der jetzige Mega-Bundestag von der Anzahl der Mandatsträger her eigentlich zu groß ist, geben die meisten Abgeordneten selbst zu. Allerdings fehlt den Fraktionen zu einer notwendigen Reform des Wahlrechts offenbar der Mumm. Kein Wunder, denn das würde für manche den Verlust des eigenen Mandats, des Wahlkreises bedeuten. Und wer gibt den gut bezahlten, aber auch extrem arbeitsaufwendigen Polit-Job schon gerne und noch dazu freiwillig ab? Hintergrund der unaufhörlichen Vergrößerung des Parlaments ist die Besonderheit des komplizierten deutschen Wahlsystems, das eine Mischung aus direkter Wahl - der Wahlkreisabgeordneten per Erststimme - sowie indirekter Wahl - über die Landeslisten der Partei per Zweitstimme. Hat eine Partei, etwa die CSU, mehr Direktmandate gewonnen, als ihr nach dem Zweitstimmen-Ergebnis eigentlich zustehen, nennt man das Überhangmandate. Für diese Mandate erhalten die anderen Fraktionen wiederum sogenannte Ausgleichsmandate. Weil die CSU im Vorjahr in Bayern sämtliche Direktmandate errang, erhielten die anderen Fraktionen allein 15 Ausgleichsmandate. Vorschläge zu einer Reform des Wahlrechts, die im Kern auf eine Verringerung der Abgeordnetenzahl hinauslaufen müsste, gibt es viele. Der Königsweg, den alle beschreiten könnten, wurde allerdings noch nicht gefunden. Eine grundgesetzliche Begrenzung der Ausgleichsmandate und damit der Gesamtzahl der Abgeordneten auf 630, wie sie der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert wollte, würde vor allem die kleineren Parteien benachteiligen. Eine Verringerung der derzeit 299 Wahlkreise auf etwa 250 würde am Widerstand in den Ländern und Regionen scheitern. Ein Teufelskreis.
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