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Mittelbayerische Zeitung: Die Qual der Wahl Von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Wir wollen uns bei Wahlen quälen, hatten ostdeutsche Bürgerrechtler in der friedlichen Revolution vor fast 30 Jahren gefordert. Im SED-Staat gab es keine wirkliche Auswahl zwischen Parteien und Personen, Wahlergebnisse wurden vorgegeben und sogar gefälscht. Die demokratische Freiheit der freien Auswahl zwischen unterschiedlichen Kandidaten entfaltet derzeit in der CDU eine bislang nicht für möglich gehaltene innerparteiliche Dynamik. Tausende Mitglieder der einst als "Kanzlerwahlverein" verspotteten Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls machten sich in den vergangenen Wochen auf, um den drei aussichtsreichsten Bewerbern um den Vorsitz auf den Zahn zu fühlen. So viel lebendige und streitbare Demokratie hat die Christlich Demokratische Union in sieben Jahrzehnten noch nicht erlebt. Die drei aussichtsreichsten Kandidaten um den Vorsitz - Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn - mussten in diversen Mitgliederforen Rede und Antwort stehen, auch zu kniffligen Fragen. Doch selbst wenn man dabei höfliche Umgangsformen wahrte und allenthalben die Einheit der CDU beschwor, so zeigten sich doch zum Teil erhebliche politische Unterschiede. Es geht auf dem Hamburger Parteitag nicht nur darum, wer Angela Merkel, der Langzeit-Vorsitzenden, nachfolgt, sondern auch um den künftigen Kurs der - immer noch - Volkspartei CDU. Die 1001 Parteitags-Delegierten können auswählen, ob sie die eher sozialliberale Kramp-Karrenbauer, den wirtschaftsnahen Merz oder den Jung-Konservativen Spahn auf den Chefsessel hieven. Einen Abschied von Merkels ziemlich einsamem Führungsstil in der CDU wird es auf jeden Fall geben. Teamspiel und Zuhören sind die neuen Grundtugenden, die jeder neue Parteivorsitzende beherrschen muss. Dass die große Schwesterpartei der CSU auf den offenen Wettbewerb bei der Besetzung des obersten Parteiamtes setzt, könnte ebenfalls ein Vorbild für die kleine bayerische Unions-Schwester sein. Allerdings läuft in der ebenfalls arg gerupften CSU die voraussichtliche Wahl von Markus Söder im Januar nach dem Motto ab: der Sieger bekommt alles. Die CSU würde in dem Fall dann nicht mehr von einem Bundesminister, dem glücklosen und für Querschüsse jederzeit guten Horst Seehofer, sondern vom Münchner Regierungschef geführt. Wenn sich im nächsten Jahr die Spitzen der GroKo in Berlin treffen, werden gleich zwei neue Gesichter am Tisch sitzen. Einfacher dürfte das Regieren unter der Noch-Kanzlerin Merkel und mit einem Noch-Innenminister Seehofer nicht werden. Allerdings sind Merz und Kramp-Karrenbauer klug genug, nicht gleich Merkels Abschied vom Kanzleramt zu betreiben. Die deutsche Regierungschefin hat eben erst auf dem zähen G20-Gipfel in Argentinien gezeigt, dass ihr Verhandlungsgeschick, ihr Ruf auf der internationalen Bühne nicht so ohne weiteres zu ersetzen sind. Die aktuellen internationalen Konflikte - von der Ukraine bis nach Syrien, von Saudi Arabien bis zum Iran, der Handelskrieg zwischen Washington, Brüssel und Peking - brauchen keine Anfänger, sondern erfahrene Gestalter. Allerdings hat alles seine Zeit. Auch Merkels Regierungszeit geht zu Ende. Es wäre aus Sicht der Union nicht klug, wenn die Kanzlerin bis 2021 weiter regierte und dann alles auf einen wahlkämpfenden Nachfolger setzte. Will die Union von den derzeit schwachen Umfragewerten wegkommen, dann sollte der - oder die - neue Spitzenkandidat oder -kandidatin mit dem Kanzlerbonus in den Wahlkampf ziehen. Das würde allerdings eine Verabredung des neuen CDU-Chefs bzw. der Chefin mit Merkel voraussetzen. Die scheint jedoch gerade Lust am Regieren ohne den Parteirucksack gefunden zu haben.

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