Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel "Eine weise Entscheidung ist gefragt" von Christine Strasser zum Regensburger Korruptionsprozess
Regensburg (ots)
Richterin Elke Escher war vom Beginn des Regensburger Korruptionsprozesses an nicht zu beneiden. Wie ist ein so außergewöhnliches Verfahren zu führen? Die Richterin hat vieles zugelassen. Kein Verteidiger kann bislang sagen, er habe ein Argument, eine Sichtweise nicht vorbringen können. Insbesondere der angeklagte Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs hat großen Spielraum in Sitzungssaal 104 bekommen - zulasten der beiden Staatsanwältinnen, die sich viele Vorwürfe anhören mussten. Am letzten Verhandlungstag vor der Weihnachtspause haben die Verteidiger die Richterin mit einem massiven Antrag beschenkt. Sie fordern die Einstellung des Verfahrens und begründen das größtenteils mit Fehlern der Ermittler, die Escher selbst bereits scharf gerügt hat. Im neuen Jahr wird eine weise Entscheidung von ihr gefragt sein. Dass der Prozess platzt, ist trotzdem eher unwahrscheinlich. Das klang bei einigen Sätzen der Richterin am Mittwoch durch. Sie will das Verfahren wohl lieber "gut und sauber" zu Ende bringen. Eine Einstellung hätte auch einen Makel: Der Korruptionsverdacht bliebe an den Angeklagten haften. Insofern war es verwunderlich, dass auch Wolbergs und seine Verteidiger dem Antrag zustimmten. Denn eigentlich gaben gerade sie ja bislang immer die Aufklärung der Vorwürfe als oberstes Ziel an. Nun weichen sie von dieser Marschroute ab. Die Anwälte argumentieren so: Es stelle sich die Frage, ob man dieses Verfahren noch mit der Überschrift Rechtsstaatlichkeit versehen könne. Die Anwälte betonten, dass es darauf ankäme, sich "mit allen Details des Verfahrens" zu beschäftigen. Angesichts einer so zugänglichen Richterin wie Escher habe man da Glück. Es stimmt: Verurteilungseifer hat das Gericht bislang nicht erkennen lassen. Escher trägt eine Maske. Die besteht aus ihrem meist freundlichen Lächeln. Welchen Plan sie dahinter verfolgt, bleibt offen. Es ist aber gut möglich, dass sie sich in aller Ruhe und Akribie die Puzzleteile für ihr späteres Urteil zusammensucht. Auch dass sie so hart mit der Staatsanwaltschaft umspringt und deren Erklärungsversuche für die Ermittlungsfehler unwirsch zurückweist, ließe sich in diese Richtung interpretieren. Escher baut vor gegen den Vorwurf, sie sei leichtfertig über Verstöße hinweggegangen. Auch dass sie sich eine makellose Akte wünscht, könnte ein Zeichen dafür sein, dass sie hier kein Einfallstor öffnen will, um ein mögliches Urteil angreifbar zu machen. Den von der Verteidigung kritisierten Verstößen kann sie mit Verwertungsverboten der rechtswidrig erhobenen Beweismittel und mit Strafmilderung im Urteilsspruch begegnen. Die Verteidiger haben im übrigen in ihrem seitenlangen Antrag auch darauf hingewiesen, dass das in solchen Fällen üblich ist. Aus den Ermittlungsfehlern folgt nicht automatisch, dass der Oberbürgermeister zu Unrecht auf der Anklagebank sitzt. Denn eigentlich geht es in dem Verfahren ja um die Vorwürfe der Vorteilsannahme beziehungsweise der Vorteilsgewährung. Die ersten drei Prozessmonate haben ergeben, dass es durchaus einige Indizien gibt, die gegen Wolbergs und die drei Mitangeklagten sprechen könnten. Ein Beispiel ist die E-Mail von Ex-SPD-Rathausfraktionschef Norbert Hartl an Bauträger Volker Tretzel. Darin bittet er um Änderungswünsche in einem Vorentwurf der späteren Ausschreibung für das umstrittene Grundstücksgeschäft, das als Dreh- und Angelpunkt des Prozesses gilt. Diese E-Mail ging auch an OB Wolbergs. Der wiederholt dazu mantraartig, dass er sie damals nicht zur Kenntnis genommen habe. Durch das permanente Wiederholen prägt sich diese Erklärung ein, ob sie schlüssig ist, muss aber das Gericht erst noch entscheiden. Das gilt auch für verschiedene weitere offene Fragen. Um sie zu beantworten, bleiben noch mehr als 30 Verhandlungstage.
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