Mittelbayerische Zeitung: Der Wert der Freiheit
Wer in Deutschland zu Unrecht verurteilt wird, verliert häufig alles. Und wird im Kampf zurück ins Leben alleingelassen. Das muss sich ändern.
Regensburg (ots)
Was sind siebeneinhalb Jahre Leben wert? 70 000 Euro? 170 000 Euro? Oder doch 1,8 Millionen Euro? Wenn Gustl Mollath jetzt um Entschädigung kämpft für jene 2747 Tage, die er zu Unrecht per Gerichtsbeschluss in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht war, geht es um viel Geld. Es geht aber auch um die Frage, wie das deutsche Rechtssystem mit jenen umgeht, denen Unrecht widerfahren ist. 70 000 Euro hat der Freistaat Bayern Gustl Mollath bereits gezahlt. Das entspricht den 25 Euro Entschädigung, die einem in Deutschland zu Unrecht Inhaftierten pro Hafttag zustehen. Dazu können Schadensersatzzahlungen kommen, 100 000 Euro bietet der Freistaat Mollath. Doch der rechnet anders: 288 000 Euro Verdienstausfall will er unter anderem erstattet haben, dazu 90 000 Euro Anwaltskosten und Entschädigung für den Entzug seines Hauses. Außerdem fordert er 800 000 Euro Schmerzensgeld, auch wegen der Langzeitfolgen, unter denen er wegen der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus leidet. Gustl Mollath ist nicht der erste, der um eine angemessene Entschädigung für die Folgen eines falschen Urteils vor Gericht kämpfen muss. Bekannt sind die spektakulären Fälle: Monika de Montgazon beispielsweise wurde 2005 in Berlin zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie das Haus, in dem ihr pflegebedürftiger Vater schlief, angezündet hatte, um den Vater zu töten und die Versicherungssumme zu kassieren. 888 Tage saß sie im Gefängnis, später wurde sie freigesprochen, der Vater hatte wohl im Bett geraucht und das Feuer selbst verschuldet. Sie bekam 9779 Euro Haftentschädigung, dazu nach langen juristischen Auseinandersetzungen 53 000 Euro Schadensersatz und eine monatliche Zahlung von 1100 Euro. Bis zu ihrem Tod vor zwei Jahren kämpfte sie noch um die Kostenerstattung für die Gutachten, ohne die sie ihre Unschuld nicht hätte beweisen können. Norbert Kuss, der im Saarland fälschlicherweise wegen angeblichem sexuellen Missbrauch seiner Pflegetochter zwei Jahre im Gefängnis saß, bekam rund 17 000 Euro Haftenschädigung. Für weitere 60 000 Euro Schadensersatzzahlung von der Gutachterin, die der Pflegetochter Glaubwürdigkeit bescheinigt hatte, musste auch er lange vor Gericht kämpfen. Das Problem: Wer Schadensersatz über die 25 Euro Haftenschädigung hinaus geltend machen will, muss nachweisen, dass die Vermögensschäden alleine durch die Strafverfolgung verursacht wurden. Das ist eine hohe Hürde, die nur wenige nehmen, zumal vielen Betroffenen die Kraft fehlt: Wer ins Gefängnis muss, verliert nicht nur die Freiheit. Meist auch die Arbeit, Freunde, manchmal die Familie. Für die Dauer seiner Haftstrafe hat er kein nennenswertes Einkommen, zahlt nicht in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Viele verschulden sich durch Anwalts- und Gutachterkosten. All das gilt auch für unschuldig Verurteilte. Nach der Entlassung kommen dann zum wirtschaftlichen Schaden die psychischen Belastung, mit der Hafterfahrung klarzukommen, und die Stigmatisierung: Der Verrückte, die Feuerteufelin, der Pädophile. Die Etiketten kleben, auch lange nach einem Freispruch, die Rückkehr in ein normales Leben und auf den Arbeitsmarkt ist schwer. Und einsam: Anders als bei entlassenen Straftätern steht unschuldig Inhaftierten nicht einmal ein Bewährungshelfer zur Seite. Nur wenige können sich in dieser Situation auf langwierige juristische Auseinandersetzungen einlassen. Richter, Staatsanwälte und Gutachter sind Menschen, sie machen Fehler. Doch ihre Fehler können Menschenleben zerstören. Ein gerechtes Justizsystem braucht daher Mechanismen, um die Folgen solcher Fehler abzufedern: Angemessene Haftentschädigungen, einfache Schadensersatzformeln. Und vor allem Strukturen, die die Betroffenen nicht alleinlassen, sondern ihnen Hilfe bieten. Und echte Rehabilitation ermöglichen.
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