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Mittelbayerische Zeitung: Verrutschte Prioritäten
Seit zwei Jahren regiert diese Koalition und die größte Hürde steht noch bevor: der Klimaschutz. Leitartikel von Jana Wolf

Regensburg (ots)

Halbzeit im politischen Berlin, aber die Arbeit der großen Koalition ist nicht halb getan. Sie fängt gerade erst richtig an. Mit aller Wucht drängt sich der Klimaschutz auf der Prioritätenliste der Regierung immer weiter nach oben. Nicht nur, weil der Ruf nach sofortigem Handeln und die Proteste der Jugend immer weiter anschwellen. Vor allem, weil die Klimakrise faktisch immer größeren Schaden hinterlässt. Kanzlerin Merkel nannte den Klimaschutz kürzlich in ihrer Regierungserklärung eine "Menschheitsaufgabe", CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer sprach von "einer der großen Zukunftsfragen", SPD-Vizekanzler Scholz kündigte den "großen Wurf" an und CSU-Chef Söder einen "Marshallplan". Damit haben die Koalitionäre pünktlich zur Zwischenbilanz selbst den Handlungsbedarf vermessen: Nach zwei Jahren gemeinsamen Regierens liegt offen auf dem Tisch, was noch nicht getan und was nun dringend zu tun ist. Die Messlatte hängt hoch. Die Aufgabe Klimaschutz ist deswegen so groß, weil sie - neben all den konkreten und komplexen Maßnahmen - eine ganz grundsätzliche Frage ins Blickfeld rückt: Wie können wir in Zukunft Wachstum mit Ökologie verbinden? Die Ökologie muss Vorrang haben, doch bisher sind die Prioritäten anders gelagert. Politisches Handeln orientiert sich zuvorderst am Wachstum und stellt, wenn überhaupt, höchstens die Frage, ,ob' Ökologie mit Wachstum zusammengeht. Diese Schieflage lässt sich etwa am Klimapaket 2030 ablesen. Die "wirtschaftliche Betrachtung" findet sich ganz oben im ersten Absatz, noch vor jeder politischen. Das am Freitag vorgestellte Paket ist der vorläufige Höhepunkt einer irregeleiteten Entwicklung, in der das Streben nach immer mehr und immer größerem Wachstum den Takt vorgibt. Bei der lebensentscheidenden Klima-Frage wird das besonders deutlich. Damit sollen nicht alle Projekte der Regierung schlecht geredet werden - das sei der Fairness halber gesagt. Eine Studie von Bertelsmann-Stiftung und Wissenschaftszentrum Berlin hat der Groko bescheinigt, zwei Drittel der Koalitionsversprechen bereits eingelöst zu haben. Darunter findet sich Sinnvolles wie Gesetze zu Fachkräftezuwanderung oder Kita-Ausbau, Verbesserungen in der Pflege und der aus ökologischer Sicht wichtige Ausbau der Schienen. Doch mit all diesen Schritten ist das tieferliegende Problem, dass nämlich zu viele Bereiche unserer öffentlichen Daseinsvorsorge dem bunten Treiben des Marktes überlassen wurden, längst nicht gelöst. Und dieses Problem reicht weit über die Frage der Vereinbarkeit von Wachstum und Ökologie hinaus. Man saß lange dem Irrglauben auf, der Markt werde die Funk- und Breitbandlöcher im Land selbst in den Griff bekommen; private Pflegeeinrichtungen werden die Arbeitsbedingungen ihres Personals selbst ordentlich regeln; Krankenhausbetreiber werden sich so geschickt verteilen, dass keine Versorgungslücken entstehen; Investoren werden auf den aus der öffentlichen Hand veräußerten Flächen schon genug bezahlbaren Wohnraum schaffen. Weit gefehlt! Es ist eben kein Automatismus, dass der Markt diese gesellschaftlich relevanten Bereiche regelt - er hat das Wachstum im Blick. Die Daseinsvorsorge gerecht und flächendeckend zu regeln, ist Aufgabe der Politik. Sie wurde viel zu lange vernachlässigt. Dies ist kein Plädoyer, die Sicherung von Wohlstand über Bord zu werfen. Eine stabile Wirtschaft braucht das Land. Doch im Angesicht existenzieller Herausforderungen und einer Regierung unter Druck, ist es an der Zeit, die politischen und wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse neu zu bewerten. Pünktlich zur Halbzeit steht auch die Frage der Zukunft dieser GroKo im Raum, zumal die Zukunft der SPD noch immer offen ist. Bei der Vorstellung des Klimapakets sprach CSU-Chef Söder von einem "eindrucksvollen Zurückmelden der großen Koalition". Bislang ist das ein leerer Kraftausdruck ohne Inhalt. Damit er an Substanz gewinnt, müssen erst noch kraftvolle Taten folgen.

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