Eine Nation im Würgegriff
Von Thomas Spang
Regensburg (ots)
Eine ganze Nation leidet unter Atemnot. "Ich bekomme keine Luft" sagen die Schwarzen, die im Würgegriff gnadenloser Polizisten ersticken. Wie auch Zehntausende an Covid-19-Erkrankten, die sterben, weil ihr Staat in der Pandemie versagt. Bevor Onkel Sam Symptome zeigte, litt er schon an unbehandelten Vorerkrankungen wie strukturellem Rassismus, sozialer Ungerechtigkeit und einem abgewirtschafteten Staat. Die Polarisierung der Gesellschaft schwächte das Immunsystem dann noch zusätzlich. Angesichts der lebensbedrohlichen Diagnose bräuchte der amerikanische Patient dringend einen Heiler. Stattdessen verschreibt ein Scharlatan, Quacksalber und Narzisst im Weißen Haus Rezepte, die alles nur schlimmer machen. Wie Donald Trump vor Wochen das Militär aufmarschieren lassen wollte, um Proteste gegen die Ursünde Amerikas zu unterdrücken, will er nun mitten in der Pandemie die Gesundheitsversicherung für 23 Millionen Amerikaner abschaffen. Dieser Umgang mit der Krise hat nicht nur ein Element von Grausamkeit. Es fehlt die Einsicht in die Ursachen, ein schlüssiger Plan und allen voran Empathie. Warum sonst würde jemand das Tragen von Schutzmasken politisieren? Oder ernsthaft behaupten, ohne Tests gäbe es kein Covid-19? Das Ergebnis lässt sich an den täglichen Rekorden an Covid-19-Neuinfektionen, der Zahl der gestürzten Denkmäler für notorische Rassisten und nun auch an den Umfragewerten Trumps ablesen: Würde am kommenden Wochenende gewählt, müsste der Präsident in einstigen Hochburgen wie Texas und Georgia um seine Mehrheit fürchten. Amerika befreite sich in einem Fieberschub von einem, der ihm die Luft abdrückt. Joe Biden verkörpert die unaufgeregte Normalität, nach der sich viele sehnen. Ein kompetenter Helfer und Tröster, der aufgrund seiner eigenen Lebenstragödien und Verluste Anteil nehmen kann an dem Leiden der Kranken und dem Schmerz der Unterdrückten. Doch die Wahlen sind erst im November. Und bis dahin kann der erratische Führer im Weißen Haus noch eine Menge Schaden anrichten. Sei es durch das Schüren bestehender Gegensätze, das Behaupten irrer Verschwörungstheorien oder das Provozieren von Gewalt. Er hat genügend ergebene Anhänger, die ihm wie dem Führer eines Kults folgen. Und dabei auf Kundgebungen in geschlossenen Hallen ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob es im Rest der Bevölkerung genügend Antikörper gibt, das Corona-Virus und den des Rassismus zu überwältigen. Statt zu helfen, die Nation aus ihrem Würgegriff zu befreien, verabreicht der 45. Präsident der USA jeden Tag neues Gift. Sprichwörtlich, indem der die Injektion von haushaltsüblichen Desinfektionsmitteln empfiehlt. Statt auf Reformen und Schutzmasken setzt er auf Brot und Spiele - wie ein Großfeuerwerk in Mount Rushmore zum Nationalfeiertag am 4. Juli. Damit riskiert Donald Trump nicht nur die weitere Verbreitung des Virus, sondern auch Flächenbrände in der Region. Trotz der kollektiven Aufmerksamkeitsstörung einer ihre Geschichte vergessenden Nation dürfte das dieses Mal nicht funktionieren. Denn die Pandemie des Corona-Erregers ist so lebensbedrohlich wie die der Polizeigewalt gegen Minderheiten. Beide Erkrankungen verschwinden vor dem Wahltag nicht "einfach so", sondern müssen behandelt werden. Zumal der Ruf der Betroffenen mit jedem Tag lauter wird: Wir bekommen keine Luft.
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