Eskalation mit Ansage
Die Großdemo in Leipzig, bei der Regelbrecher und Gewaltbereite die Straßen einnahmen, sollte ein warnendes Beispiel sein. Von Jana Wolf
Regensburg (ots)
Nach der Großdemonstration in Leipzig vom Wochenende bleiben Kopfschütteln, Unverständnis und Wut - und nein, hier ist nicht die Wut der "Querdenker" über die Corona-Politik gemeint, die auch nach dem unsäglichen Aufmarsch nicht verschwunden sein wird. Hier geht es um den Verdruss vieler anderer Menschen, die selbstverständlich auch unter den Corona-Einschränkungen leiden und sich dennoch an die Regeln halten, weil ihnen deren Notwendigkeit einleuchtet. Was müssen ein Wirt, eine Kinobetreiberin, ein Künstler denken, für die die derzeitigen Schließungen schwere Einbußen bedeuten, wenn 20 000 Menschen dicht an dicht demonstrieren? Wie geht es Familien und Freunden, die sich vermissen und aus Vorsicht trotzdem auf Besuche verzichten, wenn sie die Bilder aus Leipzig sehen? Was empfinden all jene, die auf ein Weihnachtsfest in Geselligkeit hoffen, wenn sie Zeuge dieser geballten Verantwortungslosigkeit werden?Vielen Bürgern verlangt der Teil-Lockdown im November großen Verzicht, Geduld und Durchhaltekraft ab. Da ist es ungerecht und unangemessen, wenn sich gleichzeitig Zigtausende versammeln dürfen, obwohl sie Maskenpflicht und Abstandsregeln missachten. Natürlich muss auch in der Pandemie das Demonstrations- und Versammlungsrecht gelten. Gerade in einer Zeit tiefgreifender Beschränkungen muss es möglich sein, politischen Unmut und Kritik an den Maßnahmen öffentlich kundzutun. Doch Meinungsfreiheit bedeutet nicht, die Gesundheit vieler anderer Menschen gefährden zu dürfen. Geltende Auflagen müssen daher eingehalten werden, doch das Gegenteil ist bei diesen Demos der Fall. Unter dem Vorwand, die Freiheit zu verteidigen, bricht sich ein blinder Egoismus Bahn.Die Demonstranten sind aber nicht die Einzigen, an die sich die Kritik nun richtet. Die Ereignisse aus Leipzig haben gezeigt, dass die Sicherheitsbehörden ein Konzept im Umgang mit derartigen Protesten noch immer vermissen lassen. Dabei war klar, dass auch Rechte und Rechtsextreme zu diesen Protesten mobilisiert hatten - das war eine Eskalation mit Ansage. Die Angriffe gegen Journalisten und Polizisten kamen nicht aus heiterem Himmel. Seit Monaten warnen Beobachter dieser Szene vor Radikalisierung, Gewaltbereitschaft und weiterem Zulauf für Verschwörungsideologen. Ein durchdachtes Sicherheitskonzept hätte all diese Hinweise mitbedenken müssen. Stattdessen konnten sowohl die friedlichen Regelbrecher als auch die gewaltbereiten Extremen die Straßen einnehmen, ohne dass die Polizei ihnen Herr wurde. Ein fatales Signal.Doch auch die Polizisten trifft die Schuld nicht alleine. Viel mehr muss es auf politischer Ebene wirksame Antworten auf die gefährliche Radikalisierung geben. Die Reaktionen lassen bislang allerdings zu wünschen übrig. Der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) etwa schob die Verantwortung von sich und stattdessen dem Oberverwaltungsgericht Bautzen zu, das die Leipziger Demo erlaubt hatte. Und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ruft dazu auf, damit aufzuhören, die Taktik der Polizei "im Nachhinein" ohne Kenntnis von Details und ohne vollständiges Bild zu hinterfragen. Sinnvoller wäre es, er würde selbst im Vorhinein an klugen Sicherheitskonzepten mitwirken.Leipzig war nicht die letzte Demo dieser Art. Schon für kommenden Samstag ruft "Querdenken 941" zum Protest in Regensburg auf und will auf dem Dultplatz die "Rechte für Maskenbefreite" verteidigen. In dieser Phase hoher Infektionszahlen sind solche Demonstrationen nicht nur politisch heikel, sondern auch eine gesundheitliche Gefahr. Unter dem Vorwand der eigenen Selbstbestimmung bringen die Teilnehmer auch Unbeteiligte in Gefahr. Den örtlichen Behörden sollte Leipzig eine Warnung sein.
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