Herzschlag-Entscheidung in den USA/Der Zugang von Frauen zu straffreien Schwangerschaftsabbrüchen steht auf dem Spiel. Das Gericht beschäftigt sich mit einem Fall, der geltendes Recht verändert.
Washington (ots)
Als der Gouverneur von Texas, Gregg Abbott, im Mai dieses Jahres das restriktivste Abtreibungsgesetz der USA unterschrieb, öffnete er ein Fenster, das einen Blick in die Zukunft erlaubte. Je nach Betrachter sahen die einen den Anfang vom Ende einer "Laissez-faire"-Politik, die dazu beitrug, dass heute eine von vier Amerikanerinnen bis zum Alter von 45 mindestens einmal eine ungewollte Schwangerschaft beendet. Die anderen fühlten sich in düstere Vorzeiten zurückversetzt, wenn dann fast sechs von zehn Frauen keinen Zugang mehr zu sicheren Abtreibungen haben werden.In Texas ist das mangels einstweiliger Verfügung durch die Gerichte bereits heute Realität. Das am 1. September in Kraft getretene "Herzschlaggesetz" sieht weder Ausnahmen bei Inzest noch bei Vergewaltigung vor. Klagen kann jede private Person oder Organisation gegen Abtreibungskliniken oder Dritte, die Beihilfe zu einem illegalen Schwangerschaftsabbruch leisten. Perfiderweise delegiert der Staat hoheitliche Aufgaben der Strafverfolgung damit an Vigilantes, die vor Zivilgerichten Kopfprämien von mindestens 10 000 Dollar erstreiten können.Das Design des Gesetzes hatte den gewünschten Effekt. Das oberste Gericht der USA erlaubte sein Inkrafttreten, weil sich keine staatliche Institution verklagen ließ. Nach der ersten Privatklage setzte es dann in seltener Eile eine Anhörung an. Die konservative Mehrheit gab massive verfassungsrechtliche Bedenken zu erkennen. Die Konstruktion des Gesetzes könnte als Blaupause genutzt werden, andere Grundrechte wie das auf Meinungsfreiheit oder das Recht Waffen zu tragen einzuschränken.Umso mehr irritiert, dass der Supreme Court bis heute keine einstweilige Verfügung erlassen hat, die das offenkundig verfassungswidrige Gesetz von Texas bis zur Urteilsverkündung stoppte. Die Konsequenzen sind schon jetzt dramatisch. Im ersten Monat fielen die Abtreibungen in Texas im Vergleich zum Vorjahr um rund die Hälfte. Das hat unter anderem damit zu tun, dass viele Frauen innerhalb der gesetzten Frist oft nicht wissen, dass sie schwanger sind und Kliniken aus Sorge um kostspielige Zivilklagen davor zurückschrecken, Abtreibungen durchzuführen, die in einer zeitlichen Grauzone liegen. Es könnte gut sein, dass der Supreme Court das Gesetz von Texas benutzt, es mit dem neuen Abtreibungsrecht von Mississippi zu kontrastieren, das es am 1. Dezember verhandelt. Dieses sieht das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen ab der 15. Woche vor. Das verkürzt die vom obersten Gericht 1973 in seinem Grundsatzurteil "Roe v. Wade" festgelegte Frist um zwei Monate, innerhalb derer Abtreibungen Privatangelegenheit sind. Da es in den USA kein Bundesgesetz gibt, das Abtreibungen regelt, hat das Grundsatzurteil de facto Gesetzeskraft. Wenn die neue konservative Sechs-zu-drei-Mehrheit "Roe v. Wade" kassiert, treten in zwölf Bundesstaaten bereits beschlossenen Gesetze die automatisch in Kraft, die legale Abtreibungen gänzlich abschafften. Insgesamt 26 Bundesstaaten könnten Bestimmungen in Kraft setzen, die Fristen wie in Texas oder Mississippi deutlich verkürzten.Die Abtreibungsgegner wähnen sich kurz vor dem Ziel ihres langen Marschs durch die Institutionen. Hartnäckig arbeiteten evangelikale und katholische Lebensschützer auf diesen Moment hin. Kaum etwas motivierte sie vor Wahlen mehr als das Versprechen, "Roe v. Wade" zu kippen. Mit der Benennung dreier erzkonservativer Verfassungsrichter durch Donald Trump wähnen sie sich näher an ihrem Ziel als jemals zuvor. Falls das oberste Gericht das Grundsatzurteil kassiert, bedeutet dies nicht das Ende des Konflikts um den legalen, fairen und sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Im Gegenteil. Zwei von drei Amerikanern sagen in Umfragen, dass sie keine Änderungen an der bestehenden Rechtslage wünschen. Es bleibt zu hoffen, dass der Supreme Court weiser entscheidet, als es die politische Komposition der Richterbank erwarten lässt. Letztlich kann es bei einem so kontroversen Thema nur einen Kompromiss geben, mit dem niemand richtig zufrieden ist, aber alle Seiten leben können.
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