Auf der Schnitzeljagd verirrt
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nennt niedrige Lebensmittelpreise eine "Sauerei". Aber wenn er das Tierwohl verbessern will, ist er bei der Arbeit im Stall gefragt.
Regensburg (ots)
Abnehmen, mit dem Rauchen aufhören, mehr Sport, weniger Alkohol, gesunde Ernährung - das sind die klassischen guten Vorsätze fürs neue Jahr. Jetzt, rund zwei Wochen nach Silvester, sind viele Vorsätze schon wieder gebrochen. Aber beim Start in ein neues Jahr sind die Erwartungen eben hoch. Das erinnert an den Start von neuen Regierungen. Zum Auftakt präsentieren Minister ihre wohlklingenden Pläne. Da gleicht die Ampel jeder Vorgängerregierung. Jetzt, im Zuge des Januars, beginnt das Ampelzeitalter in der politischen Realität. Auf Ankündigungen muss politisches Handeln folgen. Ein Minister hat sich dabei schon in einer Schnitzeljagd verirrt: Cem Özdemir.
Der neue Landwirtschaftsminister fiel, kaum waren die Weihnachtsbraten verspeist, mit kernigen Sprüchen auf. Fleisch dürfe nicht verramscht werden, forderte er. Und er legte nach. Die niedrigen Preise seien "einfach eine Sauerei". Özdemir kündigte an: "Das kann man ändern, das muss man ändern und diese Koalition wird das ändern." Er sei nicht bereit, ein "ausbeuterisches System" weiter hinzunehmen, das auf Kosten von Menschen, Tieren, Umwelt und Klima gehe. Damit zettelte er eine Debatte an, die sich darum dreht, wie teuer ein Schnitzel sein darf. Womöglich hat Özdemir diesen Zungenschlag in der Diskussion gar nicht beabsichtigt. Aber so oder so deutet sich eine Landwirtschaftspolitik im Schweinsgalopp an. Das Thema Fleischpreise wurde schnell gesetzt, aber das Ziel nicht sorgfältig durchdacht. Jetzt wird der Minister Mühe haben, die Sau, die in Form der Preisfrage durchs Dorf getrieben wird, wieder einzufangen.
Extreme Billigangebote für Schnitzel stoßen zu Recht auf Kritik. Aber die Frage nach einem angemessenen Fleischpreis lässt sich doch gar nicht beantworten, ohne den Preis ins Verhältnis zum Verdienst zu setzen. Özdemir mit seinem Ministergehalt kann sich ein Schweinesteak für zwanzig Euro leisten, ohne darüber nachdenken zu müssen. Eine wachsende Zahl an Menschen muss aber beim Wocheneinkauf haargenau nachrechnen. Die Corona-Krise hat sich ausgewirkt auf die Armut in Deutschland. Sie hat die Armutsquote auf einen traurigen Rekordwert getrieben. Laut dem Paritätischen Wohlfahrtsverband gelten gut 16 Prozent der Bevölkerung als arm. Das entspricht 13,4 Millionen Menschen. Eine wachsende Kluft ist aber schon viel länger zu beobachten. Seit 2006 wächst die Armut in Deutschland. Für Millionen Menschen wird es einen erheblichen Unterschied machen, wenn das Schnitzel ein, zwei oder gar drei Euro mehr kostet. Aber an diese soziale Dimension von Landwirtschafts- und Ernährungspolitik scheint Özdemir nicht an erster Stelle gedacht zu haben. Das verbindet ihn mit seinen Ampel-Kollegen. Lägen die Armen dieser Bundesregierung am Herzen, dann hätte im Koalitionsvertrag zwingend eine deutliche Erhöhung der Regelsätze für Hartz IV und für die Altersgrundsicherung stehen müssen. Die findet sich dort aber nicht. Sie wäre aber die Voraussetzung, um anders über Fleischpreise diskutieren zu können, weil Ökologie und Soziales zusammengespannt würden.
Die Preisdiskussion lenkt außerdem von einem wichtigen Ansatzpunkt für die Landwirtschaftspolitik ab. Wer zum Ziel hat, dass Lebensmittel nachhaltig erzeugt werden - unter Berücksichtigung des Tierwohls - muss auch genau dort ansetzen. Die Frage muss lauten: Wie viel Tierleid wollen wir verhindern? Der Minister ist indirekt bei der Arbeit im Stall gefragt. Wie soll der Stall der Zukunft aussehen? Wie hilft man Landwirten beim Umbau? Welche Förderstruktur wird aufgesetzt? Wie viel öffentliches Geld wird fließen? Hierzu muss Özdemir konkrete Antworten liefern. Heute zum Start des Agrarkongresses wird sich zeigen, ob er solche Antworten geben will.
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