BLOGPOST: "Wer seine Idee nicht skizziert, ist schon verloren"
Mario Stauber ist freier Datenjournalist. Meistens arbeitet er in der Grafikredaktion von BILD. In diesem Jahr ist er Jury-Mitglied beim dpa-infografik award. Dafür wechselte er einfach die Seiten, denn im Vorjahr erhielt er für das Instagram-Projekt "32 Freunde - In 62 Grafiken zur WM" eine lobende Erwähnung - damals noch als Bewerber. Storytelling ist Storytelling ist Storytelling, sagt er. Interaktive Grafiken sind für ihn oft nur technische Spielerei. Aber das Wichtigste nach wie vor für jeden Infografiker: Zettel und Stift.
news aktuell: Was genau macht eigentlich ein Datenjournalist?
Stauber: Ich befürchte, Sie könnten auch fragen, was macht ein Journalist? Der Begriff Datenjournalist ist genauso unscharf. Wenn Sie in einer Recherche jemals eine Excel-Datei geöffnet haben, können Sie ruhigen Gewissens von sich behaupten, ein Datenjournalist zu sein. Ein Datenjournalist ist vielleicht jemand, der mehr Erfahrung und die Werkzeuge hat, mit Zahlen umzugehen. In der Praxis reicht das von der Beschaffung, zur Analyse bis zur Visualisierung von Daten und Zahlen.
news aktuell: Was sind Daten überhaupt für Sie? Rohstoff, Fakten, Inspiration?
Stauber: Vor allem sind sie allgegenwärtig. Alles wird irgendwo gemessen und erfasst. Das fasziniert. Daten als Fakten zu betiteln, ist sehr heikel, denn sie werden immer interpretiert. Sei es bei der Auswahl, Bereinigung oder Visualisierung. Rohstoffe sind sie im Redaktionsalltag: Bei Börsencharts, Wahlumfragen, geografischen Karten. Inspirierend sind sie, wenn sie eine andere Perspektive zeigen, eine neue Sicht eröffnen, wenn sie dem Journalisten oder dem Leser einen neuen Zugang schaffen.
news aktuell: Was hat Sie dazu gebracht, die WM grafisch zu vermessen wie in ihrem Projekt "32 Freunde - In 62 Grafiken zur WM"? Ein Fußballfan sind Sie ja nicht unbedingt ...
Stauber: Genau diese Diskrepanz. Infografikerin Sarah-Sophie Heißner und ich waren fasziniert davon, wie umfangreich der Fußball vermessen wird. Das hat uns die Chance ergeben, den Fußball aus einer anderen Perspektive zu beleuchten. Etwas, was uns im Redaktionsalltag nicht gelungen ist. Wir hatten genug von den immer gleichen Grafiken zu Aufstellungen und Tabellen. Also wollten wir tiefer eintauchen. Das Projekt gab uns die Chance, dem Leser und Konsumenten eine andere WM zu zeigen.
news aktuell: Worauf kommt es an, wenn man Infografiken für Social Media erstellt?
Stauber: Es ist schwierig, das zu generalisieren. Wichtig ist, meiner Meinung nach, der Fokus auf eine Kernaussage. Infografik in Social Media sollte im besten Fall zu einem Aha-Erlebnis führen. Stichwort Reduktion. Nur weil man alle Daten hat, muss man nicht alle zeigen. Nur weil man gestalten kann, muss man nicht alles ausgestalten. Nur weil man ein Thema hat, muss man es nicht bis ins kleinste Detail erklären. Das Wichtigste ist die Idee, dann kommen Konzept, die Daten, die Technik und die Visualisierung.
news aktuell: Inwieweit müssen Infografiken in Social Media anders funktionieren, ein anderes Storytelling abliefern als beispielsweise im Print?
Stauber: Storytelling ist Storytelling ist Storytelling. Wer in der Infografik im Print eine Story liefert, schafft das auch in Social Media. Das Stichwort Reduktion gilt aber auch hier. Bei Social Media und Print. Wer glaubt, mit komplexen grafischen Datenanalysen auf einem Smartphone-Bildschirm eine Story erzählen zu können, ist leider weit weg von der Realität. Wer es in einer Zeitung versucht, ist zumindest ambitioniert.
news aktuell: Welche Spielarten und Genres für Social-Media-Infografiken gibt es? Welche sind aus Ihrer Sicht besonders erfolgreich im Sinne von User Engagement?
Stauber: Konkret: Ein gutes Beispiel für erfolgreiche klassische Infografik in Social Media ist der Instagram-Account des Katapult-Magazins. Sehr oft schafft es der Kanal eine Geschichte in einer Grafik auf den Punkt zu bringen und sie sind damit erfolgreich. Wenn Sie mich nach meiner persönlichen Referenz fragen, muss ich den Subreddit (Reddit) r/dataisbeautiful nennen. Da werden viele Visualisierung veröffentlicht, die es schaffen, mit Daten eine frische Perspektive auf diverse Themen zu zeigen. Oft sehr persönlich und nicht immer perfektioniert, aber hoch inspirierend.
news aktuell: Welche Tools haben Sie hauptsächlich im Einsatz? Was braucht jeder Infografiker?
Stauber: Weil Sie mich nach den Tools eines Infografikers fragen, muss auch ein Infografiker antworten. So sagt meine Projektpartnerin Sarah Heißer auf diese Frage ständig: Blatt und Papier. Wer seine Idee nicht skizziert, ist schon verloren. Das gilt auch für den Datenjournalist. Was ist meine Geschichte? Woher kommen die Daten? Wie beziehe ich sie? Sind sie sauber? Wie analysiere ich sie? Wie visualisiere ich bzw. wie bereite ich sie so vor, dass der Infografiker damit arbeiten kann? Sind diese Fragen beantwortet, kommen die Tools zum Einsatz. Für einen Datenjournalist heißt das oft Excel. Hilfreich ist natürlich auch ein statistisches Grundverständnis und Empathie für Programmiersprachen. Ein guter Einstieg sind zum Beispiel die Sprachen R oder Python, eventuell auch HTML, CSS und Javascript.
news aktuell: Viele sagen, die Zukunft der Infografik ist interaktiv. Sehen Sie das auch so? Was braucht es für einen echten Durchbruch dieser Darstellungsform?
Stauber: Wir warten seit Jahren auf einen Durchbruch von interaktiven Grafiken. Das Problem dabei ist das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag. Hübsche interaktive Grafiken können für den Branchenkenner ein Genuss sein, für den durchschnittlichen Leser bedeuten sie jedoch oft eine Hürde. Oder wie oft haben Sie sich schon durch Filtermenüs, Suchmasken und Zoomstufen gekämpft, um am Ende vielleicht die für Sie interessante Geschichte zu finden? Nehmen Sie sich die Zeit dafür? Hier, glaube ich, liegt die Chance für Infografiken in Social Media. Statt interaktive Nutzeroberflächen für den Leser zu programmieren, kann der Datenjournalist die Zeit nutzen, um in den Daten die Geschichte zu finden und sie dem Leser zu erzählen.
news aktuell: Worin genau können interaktive Grafiken besser sein als statische? Ist das nicht oft einfach nur unnötige technische Spielerei?
Stauber: Im breiten Nachrichtenjournalismus würde ich ähnlich radikal argumentieren: Oft sind es technische Spielereien. Für den spezialisierten Journalismus, sagen wir z.B. eine Informationsplattform für Investoren, kann Interaktivität durchaus Sinn machen. Wer sich mit der Materie auskennt, will sich auch in der Tiefe damit beschäftigen. Er kann und will mit den Daten spielen.
news aktuell: Sie arbeiten regelmäßig an konfektionierten Infografiken. Also an Infografiken, die vom Design her gleich bleiben, aber regelmäßig mit frischen Daten gefüttert werden. Wozu braucht man das?
Stauber: In meiner aktuellen Tätigkeit entwickle ich Programme, mit denen Redakteure standardisierte Grafiken schnell und einfach visualisieren können. Das sind z.B. Tabellen mit Suchmasken, Kurvendiagramme etc. Keine kreativen Werke, aber, wie mein Kollege sagt, Schwarzbrot im Tagesjournalismus. Damit versuchen wir Zeit und Raum zu schaffen für Sonderproduktionen, die mehr Kreativität verlangen. Zudem sollen diese Programme auch Redakteuren mit weniger Kenntnissen ermöglichen, Infografiken zu erstellen.
news aktuell: Was erwarten Sie von der Jurysitzung für den dpa-infografik award?
Stauber: Natürlich bin ich gespannt auf die Bewerber in der Social Media Kategorie. Die Pfade sind noch nicht so ausgetreten wie im Print und das Spielfeld ist riesig. Ich hoffe zudem auf viele persönliche bzw. private Projekte, die nicht bereits durch den Medienapparat gepresst wurden. Da ich erst seit wenigen Jahren in der Branche tätig bin, freue ich mich natürlich auch auf meine Jury-Kollegen. Auf die Bohlens der Infografik. Für mich als Frischfleisch eine Ehre.
Übrigens: Die Bewerbungsfrist für den dpa-infografik award ist noch nicht abgelaufen. Bis zum 3. Oktober können Sie sich noch mit Ihrer Infografik in einer der drei Kategorien ("Nachrichtliche Infografiken", "Infografiken von Unternehmen, Organisationen oder Institutionen" oder "Sonderkategorie - Infografiken für Social Media") bewerben. Mehr Infos gibt es Hier.
Dieser Beitrag ist ein Original-Post aus dem news aktuell Blog:
https://treibstoff.newsaktuell.de/idee-nicht-skizziert-schon-verloren/
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