Programmhinweis für Samstag, 8. März 2003
Neue dreiteilige Reihe
20.15 Uhr Stalin - Psychogramm eines Diktators
1. Teil: Der Mythos
Köln (ots)
Kein Politiker des 20. Jahrhunderts hat so lange über solche absolute Macht verfügt. Keiner hat die politischen Landkarte Europas so nachhaltig verändert. Stalin regierte fast dreißig Jahre, von 1924 bis zu seinem Tode 1953. Er stieg auf zum unanfechtbaren Herrscher über die Sowjetunion, hob sein Land in den Rang einer Weltmacht. Was seine Ära so bedrückend machte, ist die Unermesslichkeit von Terror und Leid, die Unterwerfung vieler Völker und millionenfacher Mord. Fünfzig Jahre nach seinem Tod zeichnet die dreiteilige Dokumentation das Porträt eines Mannes, der neben Hitler als der zweite "Jahrhundert-Verbrecher" gilt.
Er wurde zum Übervater aller Sowjetmenschen stilisiert, zum allwissenden und gerechten Lenker des Volkes. Welche Verbrechen im Schatten der Verklärung geschahen, blieb den meisten Zeitgenossen verborgen. Die Liste der Stalin-Opfer ist lang: Bauern, Militärs, Juden, Geistliche, Parteifunktionäre, Revolutionäre. Weit über 20 Millionen Menschen mussten sterben, soviel steht heute fest. Das alles vertuschte die Propaganda mit trügerischen Parolen. Ob Hunderttausende durch die "Große Hungersnot" umkamen oder während der so genannten "Säuberungen" - nichts sollte den Glanz des "Stählernen" trüben. Die "Herrschaft der Lüge", wie Boris Pasternak sie nannte, nahm unter Stalin extreme Formen an.
Das Bild, das sich die Menschen von Stalin machten, war Produkt einer bewussten Fälschung. Nichts schien den Georgier zum Sowjetführer zu prädestinieren. Stalin war von kleiner Gestalt, der linke Arm verkrüppelt, das Gesicht pockennarbig, er wirkte schmalschultrig. "Erst nach einiger Zeit wurde mir klar, dass der Mann, dem ich gerade begegnete, Stalin war", sagt Leonid Zamjatin im Interview: "Ich kannte ihn nur von diesen majestätisch monumentalen Porträts." Es existieren nur wenige bewegte Bilder des Kremlherrschers. Pedantisch kontrollierte er jede Filmaufnahme. Selbst das von seinen Biographen angegebene Alter traf nicht zu. Wer es wagte, in seiner wechselvollen Vergangenheit zu wühlen, wurde umgebracht.
Die Rolle, die er sich bei der Revolution 1917 beimaß, war ebenso erfunden wie seine angebliche Nähe zu Lenin. Tatsächlich spielte er in den entscheidenden Stunden der Erhebung eine marginale Rolle. Er war umgeben von Revolutionären, die weitaus eloquenter und gebildeter als er waren. Dafür hatte er einen unbezwingbaren Willen zur Macht.
Der selbst erschaffene Mythos, überliefert auf der Bühne und im Film, in Musik, Poesie und Prosa, hat viele Facetten. Es zeigt den Landesvater, der sich gern mit Kindern ablichten lässt - darunter waren solche, deren Eltern später im GULAG sterben mussten. Engelsina Markizova, das "Mädchen in Stalins Armen" berichtet in der Dokumentation von ihrem Schicksal.
Die zeitgenössischen Filme zeichnen das Bild vom unfehlbaren Politiker. Während die Propaganda einen Kult der Vergötterung betrieb, verhungerten Millionen wegen Misswirtschaft.
Der "Generalissimus" galt als der unumstrittene Sieger im "Vaterländischen Krieg" gegen Hitler. Dieser Krieg, sagen heute ehemalige Sowjetgeneräle, war gerade auch wegen Stalin so verlustreich. Erst als er erfahrenen Militärs wie Marschall Schukow das Kriegshandwerk überließ, stellten sich Erfolge ein. Am Ende des Krieges gab sich Stalin als Befreier im Bund mit den Westalliierten und doch unterwarf er vor den Augen der Welt ein Volk nach dem anderen.
Einsam war Stalin auf dem Höhepunkt seiner Macht. Sein herrisches Wesen, seine Selbstsucht und sein Verfolgungswahn nahmen ihm fast alle Menschen in seiner engsten Umgebung. Die Tyrannei seines Regimes spiegelte sich auch in seinem Privatleben. Doch das war ein Geheimnis. Dass seine Frau Nadezhda Allilujeva ihm auch politisch die Stirn bot, ist heute eindrucksvoll belegbar.
Und doch weinte am 5. März 1953 fast das ganze sowjetische Volk nach Bekanntgabe seines Todes. Lew Kopelew sagte in seinem letzten Interview: "Das war nicht der richtige Stalin, dem wir nachtrauerten in diesen Tagen, das war der Stalin-Mythos, das Stalin-Märchen." Zum ersten Mal berichtet Stalins Leibwächter Nikolaj Novik, wie das eigene Misstrauen dem Tyrannen schließlich zum Verhängnis wurde. Stalins Nichte Kira und sein Patensohn Artjom Sergejev geben Einblicke in das Privatleben der Familie. Ein (unehelicher) Enkel des Diktators kommt erstmals zu Wort. Sein persönlicher Kameramann Abraham Chavtschin berichtet, wie der Kremlherr in Filmen inszeniert wurde. Zu sehen sind auch die bisher unter Verschluss gehaltenen Todeslisten, die Stalin selbst unterzeichnete und erstmals ein Film vom Begräbnis der Stalin-Mutter, bei dem der Sohn sich nicht blicken ließ.
Film von Peter Adler und Bärbel Schmidt-_aki_ fotos über www.ard-foto.de
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