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Landeszeitung Lüneburg

Landeszeitung Lüneburg: ,,Enorm viel Kapital auf den Meeren" -- Interview mit Dr. Cornelius Hammer, Leiter des Instituts für Ostseefischerei

Lüneburg (ots)

Eine Woche tagten jetzt in Berlin Hunderte
Fischereiwissenschaftler vom Internationalen Rat zur Erforschung der 
Meere (ICES). Neben Strategien gegen die Ausplünderung der Meere 
entwickeln die Forscher Modelle, wie sich der Klimawandel auf die 
Fischarten auswirkt. Versauert, überhitzt, schleppnetzrein gefischt 
-- sieht so der Ozean der Zukunft aus? Wir fragten Dr. Cornelius 
Hammer, Leiter des Institutes für Ostseefischerei.
Mehr als 80 Prozent der Fischbestände in Europa sind überfischt. 
Bricht der Klimawandel bedrohten Arten jetzt endgültig das Genick?
Dr. Cornelius Hammer: Das kann man in dieser Einfachheit so nicht 
sagen. "Überfischt" heißt bei manchen Arten nur, dass sie über ihr 
maximales Potenzial befischt werden. Sie könnten mehr Biomasse 
liefern, wenn man sie schonender bewirtschaften würde. Zwar sind noch
genügend Fische zur Reproduktion da, aber die Art wird zu intensiv 
genutzt, sodass der Ertrag nicht optimal ist. Allerdings gibt es 
natürlich auch Bestände, die so massiv überfischt sind, dass man sich
Sorgen machen muss. Zudem beeinflusst der Klimawandel die 
Fischbestände -- manche positiv, manche negativ. So fragen wir uns, 
ob der Kabeljau in 20 bis 50 Jahren noch in der Nordsee vorhanden 
sein wird, wenn sich die Erwärmung fortsetzt. Derzeit wandert er 
Richtung Norden in kältere Gefilde. In der Ostsee sehen wir andere 
Effekte: Die Sprotte als wärmeliebender Fisch dehnt ihr 
Verbreitungsgebiet aus -- und die Bestände des sie jagenden Dorsches 
haben sich erholt.
Wie reagiert das Plankton als Fundament der Nahrungsketten auf die
Versauerung und Erwärmung?
Dr. Hammer: Die Versauerung ist potenziell verheerend: Der Ozean 
fungiert als Puffer für das CO2 in der Atmospäre. Das im Wasser 
gelöste CO2 bildet Kohlensäure. Diese lässt die Kalkschalen von 
Muscheln, Korallen und anderen Tieren dünner werden, es kommt zu 
Reproduktionsschwierigkeiten. Das wird dramatische Folgen für die 
Ökosysteme der Meere haben, die, wenn wir so weitermachen, auch nicht
mehr zu stoppen sind. Selbst wenn wir ab morgen keinerlei CO2 mehr in
die Atmosphäre blasen würden, käme es zu keiner schnellen Besserung. 
Das Kohlendioxid, das über Jahrhunderte im Meerwasser gespeichert 
wurde, würde wieder in die Atmosphäre entlassen werden. Der Ozean 
fungiert zwar als Puffer -- aber in beide Richtungen. Das heißt, dass
der menschgemachte Treibhauseffekt noch sehr lange wirken wird, 
selbst wenn wir radikal unser Verhalten ändern. Aber noch ist es 
nicht zu spät, etwas zu unternehmen.
Verliert der wärmer werdende Ozean sein Potenzial als Puffer für 
CO2 ?
Dr. Hammer: Ja, die Pufferungsfähigkeit wird abnehmen, aber das erst 
zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Mensch längst von allen 
Industriegesellschaften verabschiedet hat. Dann wird es aber auf der 
Erde so warm sein, dass uns das nicht mehr berühren wird.
Trotz Überfischung steigt der Hunger auf Fisch. Muss der Mensch 
vom Fischer zum Aquafarmer werden?
Dr. Hammer: Im Prinzip ja, nur leider wirft dieser Schritt große 
Probleme auf. Erstens fehlt es zumindest in Deutschland und Europa an
den Küsten an Platz, um Aquakulturen zu betreiben. Zweitens 
beeinträchtigt solche Nutzung den Küstenschutz. Das Abholzen von 
Mangrovenwäldern in Südostasien für Fischfarmen wandelt die dortigen 
Ökosysteme radikal und raubt der Küste Schutz vor Stürmen. Drittens 
produzieren Aquafarmen schädliche Schlämme. Medikamente, die bei der 
Aufzucht eingesetzt werden, gelangen ins Meer. Aber das größte 
Problem ist das Futter. Die wenigsten Aquafarm-Fische fressen 
Pflanzen, die meisten brauchen tierische Nahrung. Um dieses Fischmehl
produzieren zu können, müssen wieder Fische gefangen werden -- und 
hier sind wir bereits an der Grenze des Machbaren angelangt. Zwar 
werden sich die Aquakulturen weiterentwickeln, so wird es etwa 
gigantische Käfige geben, die mit den Meeresströmungen driften, aber 
die Menge des verfügbaren Futters setzt die Grenze.
Die EU will weg von Fangquoten und Netzgrößen, lieber die Zahl der
Fangtage auf See vorschreiben. Verbessert das die Lage?
Dr. Hammer: Ja, die neue Fischereipolitik, die die EU anstrebt, ist 
schon ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung. Es ist eine 
radikale Abkehr von den alten Managementprinzipien, weil die EU 
erkannt hat, dass die Politik der Gesamtfangmengen und Quotenvorgaben
nicht funktioniert. Die kann auch nicht funktionieren, unter anderem 
bedarf sie eines gewaltigen Kontrollaufwandes. Solange man Fangquoten
festlegt, aber die Zahl der Schiffe nicht begrenzt, schwimmt enorm 
viel Kapital auf den Meeren. Die Kapitaleigner machen letztlich 
solange Druck, bis die Politik einknickt und die Fangmengen erhöht. 
So lief es in den vergangenen Jahren. Von diesem Weg in die 
Überfischung will die EU weg -- und das ist richtig so. Das Ziel der 
EU ist, das viel zu komplizierte Regelwerk über Bord zu kippen und im
Endeffekt nur noch das Ergebnis zu kontrollieren. Etwa so, wie man im
Straßenverkehr auch nicht vorschreibt, was ein Autofahrer im 
Einzelnen zu tun hat, sondern das Ergebnis vorschreibt, nämlich eine 
bestimmte Geschwindigkeit nicht zu überschreiten, wie er das 
anstellt, ist ihm überlassen. Einerseits wird der Fischerei damit 
mehr Freiheit gelassen, andererseits wird sie mit in die 
Verantwortung genommen, indem sie nachweisen muss, dass sie die 
Vorgaben erfüllt. Zudem sollen die Regeln regionalisiert werden, 
angepasst an die jeweiligen Bedingungen vor Ort. Bisher galten die 
Regeln für große Gebiete und waren für viele Bereiche nicht unbedingt
sinnvoll. So wurden viele Fischer gegen die EU aufgebracht, denn sie 
konnten den Sinn für sich persönlich nicht verstehen. Desweiteren 
will die EU Umweltbelange mit in die Fischerei aufnehmen. Die Menge 
des Beifangs, unerwünschte Beute im Netz, die bisher tot über Bord 
gekippt wurde, soll reduziert werden. Bisher wurden etwa für 1 Kilo 
Seezunge sechs Kilo Beifang zurück ins Meer gekippt. Schonende 
Fanggeschirre kommen jetzt schon verstärkt zum Einsatz. Insgesamt ist
dieser Kurswechsel sehr sinnvoll.
Eigentlich müssten die Fischer selbst das größte Interesse an 
einer nachhaltigen Bewirtschaftung ihrer Lebensgrundlage haben. Wie 
fallen bisher die Reaktionen aus?
Dr. Hammer: Zwiespältig. Was die prinzipiellen Ziele der EU angeht, 
gehen die Fischer konform. Sie wollen selbst nicht länger Tonnen 
toten Fisches über Bord werfen. Sie wollen selbst eine schonende 
Nutzung der Ressourcen, weil sie als Erste darunter leiden, wenn die 
Bestände in die Knie gehen. Gleichzeitig gehen sie aber auf die 
Barrikaden, wenn ihnen zum Schutz der Bestände Fangmöglichkeiten 
eingeschränkt werden sollen. Ihr kurzfristiges Ziel ist das 
wirtschaftliche Überleben. Und sie befürchten, dass ihnen dies 
angesichts der langfristigen, ökologischen Ziele verwehrt wird.
Wäre es denkbar, Fischern bestimmte Zonen im Meer exklusiv 
zuzuweisen, für deren nachhaltige Bewirtschaftung sie dann aber auch 
verantwortlich sind?
Dr. Hammer: Das ist eine nette Idee, im Grunde die Regionalisierung 
konsequent zu Ende gedacht. Im Prinzip wäre es machbar, scheitert 
derzeit aber daran, dass im Rahmen der gemeinsamen 
EU-Fischereipolitik die nationalen Flotten auch in anderen 
Hoheitsgebieten aktiv sein dürfen. Die Umsetzung der Idee wäre eine 
zweischneidige Sache: Einerseits bestünde die Gefahr einer 
Monopolisierung, weil hinter den Fangflotten meist Konzerne stehen. 
Andererseits könnte eine Privatisierung einer langfristig 
profitabelsten, also nachhaltigen Nutzung den Weg ebnen.
Künftig sollen die Fischer selbst beweispflichtig sein, dass sie 
die Vorgaben eingehalten haben. Wie soll das kontrolliert werden?
Dr. Hammer: Das weiß noch niemand genau. Wir erarbeiten gerade mit 
Dänen und Schotten ein Projekt, das Wege aufzeigen soll. Dabei soll 
eine ausgewählte Fischfangflotte verpflichtet werden, keinen Beifang 
mehr über Bord zu werfen. Gelingt ihnen das nachweislich, soll ihre 
Fangquote erhöht werden, weil sie eine große Menge Fisch, die sie 
sonst nutzlos getötet hätten, verschont haben, sie sollen also einen 
Teil von dieser Menge als Zusatzquote bekommen. In einer Pilotstudie 
haben die Dänen 2008 mit Kameras an Bord gearbeitet, die 
dokumentierten, wie viel aus dem Meer gezogen, wie viel sortiert und 
wie viel über Bord geworfen wurde. Das lief sehr gut. Um ihre Arbeit 
lückenlos zu dokumentieren, haben die Fischer dann bei Nebel die 
beschlagenen Kameralinsen geputzt. Die Zusatzquote ist Anreiz genug 
für nachhaltiges Verhalten. Möglich wäre auch, dass Beobachter an 
Bord gehen. Statt einer Kontrolle von außen über ein 
Küstenschutzschiff, das längsseits geht und stichpunktartig den Fang 
überprüft, wäre die Kontrolle in den Arbeitsprozess integriert.
Wären Zonen vollständiger Fangverbote nicht sinnvoller?
Dr. Hammer: Zwar können Schutzgebiete sinnvoll sein, aber sie müssten
sehr groß sein, um wirklich Wirkung erzielen zu können. Denken Sie an
wandernde Fischarten wie Hering und Dorsch! Wie groß muss ein 
Schutzgebiet für solche Fischarten sein? Die Gefahr bliebe, dass die 
Bestände in den an das Schutzgebiet angrenzenden Zonen umso stärker 
befischt würden. Diskutiert wird in einigen Meeresgebieten, aber 
durchaus nicht in allen, die Bodenfauna stärker zu schützen vor den 
Veränderungen durch Schleppnetze.
US-Wissenschaftler sagten den Zusammenbruch der Fischerei für das 
Jahr 2048 voraus. Wird der Lebensraum vernichtet, bevor er verstanden
wird?
Dr. Hammer: Die Modellrechnung der Kollegen beruht auf einigen 
unrealistischen Annahmen. Kollegen von mir haben gezeigt, dass, wenn 
man heutige Arbeitslosenzahlen mit derselben Methodik in die Zukunft 
fortschreibt, sich ergibt, dass 2056 eine hundertprozentige 
Arbeitslosigkeit vorliegen würde. Die Studie berücksichtigt nicht, 
dass sich Fischbestände bei entsprechenden Schutzmaßnahmen auch 
wieder erholen. So hat sich die Scholle in der Nordsee wieder aus dem
Keller herausgearbeitet. Die Dorschbestände in der zentralen Ostsee 
wachsen so kräftig, dass die Fangquoten jedes Jahr um 15 Prozent 
erhöht werden können. Die wichtigen Heringsbestände vor Norwegen 
haben sich nach deren Zusammenbruch vor über 25 Jahren auf einen 
historischen Höchststand erholt. Fischbestände sind sehr dynamisch. 
Sie können schnell auf ein Niveau sinken, bei dem der Kollaps droht, 
und sich ähnlich schnell wieder erholen. Das muss aber nicht so sein.
Wenn Bestände bis zum Bestandszusammenbruch heruntergefischt werden, 
wie der Kabeljau vor Neufundland, kann es sein, dass es Jahrzehnte 
dauert, bis sie sich erholen, wenn überhaupt.
Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
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