Landeszeitung Lüneburg: ,,Vertrauen in den Staat verspielt" -- Interview mit Sebastian Edathy
Lüneburg (ots)
Noch weit bis ins Jahr 2013 wird der Untersuchungsausschuss zu den Terrormorden des Zwickauer Neonazi-Trios brauchen, um zahlreichen Ermittlerpannen aufzuklären. Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des Ausschusses, zieht ein Zwischenfazit: "Unsere Sicherheitsarchitektur ist reformbedürftig."
Vor einem Jahr flog die Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" auf. Konnten Sie mittlerweile Hintergründe aufhellen oder verdunkelt sich das Bild zusehends?
Sebastian Edathy: Wir sind noch nicht am Ende unserer Untersuchungsarbeit, so gilt es in den nächsten Monaten vor allem aufzuklären, ob es während des Lebens des Trios in der Illegalität Hinweise auf dessen Aufenthaltsort bei staatlichen Stellen gab. Aber man kann ein Zwischenfazit ziehen, da drei Dinge unzweifelhaft feststehen: 1. Unsere Sicherheitsarchitektur ist dringend reformbedürftig. Viele unserer Sicherheitsbehörden betrachten ihre Erkenntnisse als eine Art Privateigentum. Wir brauchen künftig mehr Kommunikation und Informationsaustausch zwischen den Behörden. 2. Die Gefährlichkeit eines zunehmend gewaltbereiter gewordenen Rechtsextremismus wurde lange Zeit massiv unterschätzt. Man konnte und wollte sich ganz offenkundig nicht vorstellen, dass es in Deutschland organisierten Rechtsterrorismus geben könnte, obwohl es dafür in der Vergangenheit durchaus Anhaltspunkte gab. 3. Und das macht mir am meisten Sorgen: Wir haben fast durchgehend bei der Bearbeitung der Mordserie an neun Menschen durch die Behörden feststellen müssen, dass die Ermittlungsarbeit keineswegs objektiv und ergebnisoffen war. Vielmehr führte die Tatsache, dass die Opfer einer ethnischen Minderheit angehörten, dazu, dass die Täter nahezu ausschließlich im Umfeld der Opfer selbst gesucht wurden. Eine Fehlannahme von Behörden, die selbstverständlich gehalten sind, in alle Richtungen zu ermitteln. Aber hier hat man nur in die Richtung einer möglichen Verstrickung in organisierte Kriminalität untersucht. Damit wurden zwei Kernversprechen des Rechtsstaates gebrochen: Den Bürger vor Übergriffen zu schützen und, wo dies nicht gelingt, unvoreingenommen Ermittlungen erfolgen zu lassen. Es ist eine Aufgabe des Untersuchungsausschusses, durch lückenlose Aufklärung das verloren gegangene Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unseres Rechtsstaates wieder aufzubauen.
Sie sprechen von "nicht objektiven Ermittlungen". Das LKA hat nach dem Sprengstoffanschlag in Köln monatelang die Anwohner ausgeforscht. Kann man zuspitzend sogar sagen, dass fremdenfeindliche Vorurteile die Ermittlungen trübten?
Edathy: Jeder weiß, dass wir in einer Minderheit der Bevölkerung ein vorurteilsbehaftetes Denken gegenüber ethnischen Minderheiten vorfinden. Für unsere Sicherheitsbehörden muss aber gelten, dass bereits bei der Einstellung darauf geachtet wird, dass solche Menschen nicht in verantwortungsvolle Positionen gelangen können. Man muss von professionell arbeitenden Ermittlern erwarten können, dass sie sich nicht von Ressentiments leiten lassen.
US-Profiler legten früh eine fremdenfeindliche Motivation der Täter nahe. Dennoch wurde weiter in Richtung türkische Mafia ermittelt. Ist eine Entschuldigung der Behörden überfällig?
Edathy: Sie sprechen ein Kurzgutachten von FBI-Agenten an, die wenige Wochen bei der deutschen Polizei hospitiert hatten. Man kann nicht ernsthaft behaupten, dass dieses Gutachten auf einer besonders vertieften Expertise beruhte. Gleichwohl ist auffällig, dass US-Ermittler angesichts der Opfer -- Kleinunternehmern mit familiären Wurzeln im Ausland -- sehr schnell die Möglichkeit eines rassistischen Hintergrundes für naheliegend hielten, während deutsche Ermittler sechs Jahre brauchten, um eine solche Idee überhaupt in Erwägung zu ziehen. Da stellt sich die Frage: Wieso hatte das FBI spontan diese Sensibilität für den möglichen Hintergrund, unsere Polizei aber nicht? Mein Eindruck: Diese Idee wurde von unserer Polizei ausgeblendet.
Akten zur rechtsradikalen Szene und zu V-Leuten wurden vernichtet statt dem U-Ausschuss übergeben. Hat sich ein Staat im Staate entwickelt?
Edathy: Dafür habe ich keine Anhaltspunkte. Gleichwohl ist es angesichts der vielen kursierenden Spekulationen über das Verhalten der Sicherheitsbehörden umso wichtiger, dass wir am Ende unserer Arbeit Spekulationen durch Fakten ersetzen können. Das sich bisher ergebende, vorläufige Bild ist das einer Verknüpfung massiver Fehlleistungen, die aber nicht böser Absicht entsprungen sein müssen. Das gilt auch für die Aktenvernichtung beim Verfassungsschutz. Hier ist noch völlig offen, ob es sich um individuelles Fehlverhalten -- schlichtweg Blödheit -- gehandelt hat oder ob da etwas unterdrückt werden sollte. Dass ich diese Frage nicht abschließend beantworten kann, bedeutet aber auch, dass ich mir diesbezüglich noch kein Urteil gebildet habe. Meine zehn Kolleginnen und Kollegen im Untersuchungsausschuss arbeiten wie ich daran, völlig unvoreingenommen aufzuklären. Das ist umso notwendiger als die Zahl der offenen Fragen mit voranschreitender Arbeit des Ausschusses eher noch steigt. Es gibt aber bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass hier eine quasi staatlich geduldete Verbrechensserie verübt und anschließend Beweise vernichtet wurden, um es mal zuzuspitzen. Es kann sich aber jedermann darauf verlassen: Wir beleuchten alles, und wir gehen jeder Frage nach.
Den Untersuchungsausschuss zeichnet eine ungewöhnliche überparteiliche Geschlossenheit aus. Wird ihm von vorgeladenen Politikern und Ermittlern genug Respekt gezollt?
Edathy: In der Tat ist die überparteiliche Haltung des Untersuchungsausschusses seine große Stärke. Weil Vertrauen das größte Kapital einer Demokratie ist, haben wir uns gleich zu Beginn unserer Tätigkeit Anfang 2012 darauf verständigt, dass wir uns in diesem Untersuchungsausschuss nicht untereinander streiten wollen, sondern gemeinsam streiten wollen für die Demokratie. Diese Vereinbarung hält und wird weiter halten. Von über 250 bisher gefassten Beschlüssen ist kein einziger nicht einstimmig gewesen. Das heißt, wir diskutieren intern und einigen uns auf eine überfraktionelle Haltung. Diese Einigkeit macht uns auch stark gegenüber der Exekutive also Regierungsvertretern und Behörden, weil niemand davon ausgehen kann, dass im Ausschuss aus parteipolitischen Erwägungen heraus ein Sachverhalt im Unklaren gelassen wird. Die Auftritte der Zeugen waren bisher von sehr unterschiedlicher Qualität. Wenn 80 Prozent der Zeugen sagen "Irgendjemand hat bestimmt Fehler gemacht, aber ich nicht", beißt man manchmal fast in den Tisch angesichts eines zunehmend deutlicher werdenden kollektiven Versagens.
Von extrem unterschiedlicher Qualität: Von Fritz Behrens, dem sozialdemokratischen Ex-NRW-Innenminister, der "fatale Fehler" einräumte, über Wolfgang Schäuble, der in der Zusammenlegung der Abteilungen für Rechts- und Linksterror...
Edathy: ...Ich würde mich freuen, wenn Herr Behrens Fehler eingeräumt hätte. Letztlich hat er aber den Eindruck erweckt, dass er 2004, als er vom Kölner Nagelbombenanschlag hörte -- immerhin der schwerste Vorfall in seiner Amtszeit, 28 zum Teil schwerst verletzte Personen --, darauf relativ unberührt reagiert hat. Er war ja gerade mit einem privaten Umzug beschäftigt. Er war offenkundig desinteressiert. Ein ähnliches Bild hat der amtierende Finanzminister erweckt, der als Innenminister 2006 darüber informiert wurde, dass man seit sechs Jahren vergeblich die Täter einer Mord"serie sucht. Herr Schäuble hat offensichtlich kein größeres Interesse gehabt, sich über die Hintergründe näher in Kenntnis setzen zu lassen. Ich frage mich zunehmend: Wie hätte man reagiert, wenn es andere Opfer gewesen wären? Wenn es nicht diese neun Opfer gewesen wären? Anders? Vielleicht, vielleicht wahrscheinlich sogar. Und das macht mich bisweilen traurig. Andererseits haben wir den früheren Präsidenten des Verfassungsschutzes Heinz Fromm erlebt, der sehr klar gesagt hat, dass auch Borniertheit zu den mangelnden Ermittlungserfolgen beigetragen habe. Dass man möglicherweise nach geltenden Vorschriften, aber dennoch keineswegs richtig gehandelt habe.
Stärkt die durch die Verbrennung von Akten offenbar werdende Missachtung der Ordnung, die der Verfassungsschutz eigentlich schützen soll, diejenigen, die seine Abschaffung fordern?
Edathy: Es wäre fatal, wenn sich an die zu Tage tretenden Defizite bei der Suche nach dem Trio und der Aufklärung der Straftaten-Serie ein Mauern bei der Untersuchungsarbeit anschließen würde. Ich glaube, dass man über Organisationfragen ergebnisoffen diskutieren muss. Im Sinne einer wehrhaften Demokratie sind wir aber darauf angewiesen, dass es in Deutschland Behörden gibt, die Informationen über extremistische Organisationen beschaffen. Und da aus guten Gründen nach dem Nationalsozialismus die Entscheidung getroffen wurde, diese geheimdienstliche Arbeit nicht von der Polizei wahrnehmen zu lassen, muss es eine separate Behördenstruktur geben, die dies leistet. Insofern sind die Aufgaben, die der Verfassungsschutz erbringt, nach wie vor notwendig. Aber die Frage, wie diese Aufgabe organisiert wird, gehört ganz klar auf die Tagesordnung. So wie bisher geht es nicht, ganz klar! Vor drei Jahren hatten Sie im Interview mit unserer Zeitung gefordert, dass Schulen zu Schulen der Demokratie werden müssen. Müssen auch die Sicherheitsorgane Demokratie noch erlernen? Edathy: Selbstverständlich muss sich der Verfassungsschutz bewusst sein, dass er für den Schutz der Bürger zuständig ist. Wenn er es wie im Falle der Ermittlungen gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund" gegenüber der Polizei für wichtiger hielt, seine Informanten zu schützen als zur Aufklärung von Kapitalverbrechen beizutragen, ist das ein falsches Selbstverständnis. Der Verfassungsschutz ist nicht für sich da, sondern für uns Bürger! Wir müssen auch sehr viel mehr Sorgfalt bei der Auswahl des Personals der Sicherheitsbehörden walten lassen. Der Weiterbildung muss größerer Stellenwert beigemessen werden. Gut ist zum Beispiel die Idee von BKA-Präsident Jörg Ziercke, in seiner Behörde künftig mehr Bewerber mit einem sogenannten Migrationshintergrund einzustellen. Das könnte die Behörden stärker sensibilisieren für die Herausforderungen in einer zunehmend heterogener werdenden Gesellschaft.
Wäre ein Abdrängen der NPD in die Illegalität angesichts der strukturellen und mentalen Defizite der Ermittler nicht kontraproduktiv?
Edathy: Das erste Verbot einer rechtsextremen Partei in den fünfziger Jahren hatte zur Folge, dass es zwölf Jahre keine Parteineugründung am rechten Rand gab. Man darf die Auswirkungen eines möglichen NPD-Verbotes aber nicht überbewerten, aber in meinen Augen würden die positiven Aspekte überwiegen. Zum einen wäre die NPD nicht mehr in der Lage, die zentrale organisatorische Scharnierfunktion für die gesamte rechtsextreme Szene wahrzunehmen. Zum anderen wäre mit einem NPD-Verbot Schluss mit dem kaum zu ertragenden Unfug, dass der demokratische Rechtsstaat im Jahr durchschnittlich mit einer Million Euro seine eigenen Feinde finanziert. Gleichwohl gilt: Eine Partei kann man verbieten, eine Gesinnung nicht. Eine menschenfeindliche Gesinnung muss entschieden durch Aufklärung und Bildung bekämpft werden. Man muss sich immer vor Augen halten: Die drei späteren NSU-Rechtsterroristen haben viel Schuld auf sich geladen. Aber sie wurden nicht als Rechtsterroristen geboren, und sie haben sich nicht in einem luftleeren Raum dahin radikalisiert. Und da müssen wir ansetzen. Jeder Form demokratiefeindlicher Gesinnung die Grundlage zu entziehen.
Das Interview führte Joachim Zießler
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de
Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell