Landeszeitung Lüneburg: Ärztekammern sind zahnlose Tiger
Korruptionsexperte Wodarg sieht Gesetzgeber gefordert
Lüneburg (ots)
Champagner, teure Reisen oder gleich Bares - um ihre Medikamente zu verkaufen, lassen Pharmahersteller nichts unversucht. Dr. Wolfgang Wodarg, Arzt und Mitglied bei Transparency International, fordert neue Gesetze gegen die Bestechung von Ärzten.
Das Repertoire der Gefälligkeiten - von verschiedenen Seiten - ist ausgesprochen vielfältig. Was haben die Pharmavertreter denn üblicherweise in ihren Köfferchen?
Dr. Wolfgang Wodarg: Das Bild vom Pharmavertreter, der in die Praxis kommt und dem Arzt etwas Schönes schenkt, wenn dieser ein bestimmtes Medikament verschreibt, ist überholt. Das ist heute viel komplexer. Erstens kommt nicht mehr die Pharmaindustrie selbst, sondern es gibt dafür eine ganze Dienstleistungsbranche. In den meisten Fällen sind Subunternehmen unterwegs, die herauszufinden versuchen, welche Ärzte besonders empfänglich für Geschenke sind und die vermutlich auch entsprechende Listen pflegen, die sie natürlich als Geschäftsgeheimnisse hüten.
Welche Gaben landen denn auf den Tischen der Ärzte?
Wodarg: Ein Arzt möchte nicht bestechlich sein. Und ein Arzt will auch das Gefühl haben, dass er das Richtige macht für seine Patienten. Das wissen die Unternehmen natürlich auch, und deshalb verkaufen sie ihre Interessen so, dass die Ärzte manchmal gar nicht oder sehr spät merken, dass sie eingewickelt werden. Wir sind dabei, das Thema Anwendungsbeobachtungen sehr intensiv zu analysieren. In vielen Fällen machen die Arzneimittelfirmen Verträge mit Ärzten, die dann dokumentieren sollen, wie der Patient die Medikamente verträgt. Dafür bekommt der Arzt ein Honorar. Das sind reine Schmier-Aktionen, mit deren Daten die Firma macht, was sie will und die selten veröffentlicht werden.
Oder Einladungen zu Seminaren an attraktiven Urlaubszielen?
Wodarg: Das spielt auch eine Rolle. Wenn Sie mal an einem Kongress teilnehmen, sehen Sie die Sponsoren überall. Und je höher man als Arzt in der Hierarchie steht, desto mehr bekommt man angeboten. Für die Industrie lohnt es sich, die Key Opinion Leader zu schmieren, also diejenigen Mediziner, die in der Region in bestimmten Fächern das Sagen haben. Wer die auf seiner Seite hat, kann relativ großen Einfluss auf die Ärzteschaft in der Region ausüben. Etwa darauf, welche Medikamente man bei bestimmten Diagnosen verschreibt. Einige Krankenhauskonzerne haben ihren Stationsärzten inzwischen verboten, mit Pharmareferenten Kontakt aufzunehmen. Da will das Management das Geschäft bei den Verhandlungen offenbar selbst machen.
Ist das Gesundheitswesen besonders anfällig für Korruption?
Wodarg: Es geht in diesem System um sehr viel Geld. Die Mittel der gesetzlichen Krankenkassen summieren sich auf ungefähr 200 Milliarden Euro. Da wollen alle gern ran. Das Praktische für die Wirtschaft ist, dass dieses Geld vom Staat eingesammelt wird.
In der Wirtschaft stört sich niemand an der Kundenpflege. Sollte im Gesundheitswesen erlaubt sein, was den Patienten nicht schadet?
Wodarg: Es handelt sich doch nicht in erster Linie um einen Wirtschaftszweig! Wir sind alle pflichtversichert und geben 15,5 Prozent unserer Arbeitszeit in ein System gegenseitiger Hilfe im Krankheitsfall, das sind bei Vollzeitarbeit sechs Stunden pro Woche. Unsere Hilfsbereitschaft hängt aber davon ab, dass mit dem Geld auch etwas Sinnvolles gemacht wird. Und wenn diejenigen, denen das Geld anvertraut ist, es nicht so ausgeben, wie es Not tut und gewollt ist, sondern in die eigene Tasche wirtschaften, dann schwindet die Akzeptanz für unser Solidarsystem. So etwas sieht man gerade bei der Organspende: Sie werden keine Organe mehr spenden, wenn Sie wissen, dass die Ärzte diese so verteilen, dass sie selbst am meisten Geld dabei verdienen und nicht diejenigen zuerst versorgen, die am dringendsten ein Organ brauchen.
Welche Rolle spielt Korruption bei der Transplantationsmedizin?
Wodarg: Korruption findet überall dort statt, wo es Interessenkonflikte gibt. Transparency International definiert Korruption als Missbrauch anvertrauter Macht - das sind auch anvertraute Ressourcen - zum persönlichen Vorteil oder Nutzen. Wenn die altruistische Organspende privatwirtschaftlicher Intransparenz in Kliniken, Stiftungen und Vereinen überlassen wird, dann muss der Staatsanwalt immer wieder gründlich aufräumen und die Leute zerreißen ihren Spenderausweis.
Bundesärztekammer-Chef Frank Ulrich Montgomery sieht keinen gesetzlichen Handlungsbedarf, er verweist auf Berufsordnung und Standesrecht der Ärzte, das die Annahme von Geschenken verbietet. Ist diese Berufsordnung ein wirksames Instrument oder ein stumpfes Messer?
Wodarg: Das Handelsblatt hat Zahlen aus Erhebungen bei den Landesärztekammern veröffentlicht, die dem Bundesgesundheitsminister schon seit Oktober vorliegen. Von den in drei bis fünf Jahren bei Ärztekammern bearbeiteten 575 Fällen gehören allein 480 zum Ratiopharm-Skandal. Die meisten dieser Fälle wurden den Kammern erst aufgrund staatsanwaltlicher Ermittlungen weitergeleitet. Korruptionsbekämpfung den Kammern überlassen, das ist so, als wollten Sie mit Messer und Gabel den Garten umgraben. Aber jetzt dürfen nicht einmal mehr die Staatsanwaltschaften wegen Bestechung tätig werden. Das ist eine Katastrophe. Wenn die Regierung jetzt erst auf die Kammern warten will, dann spielt sie vor der Bundestagswahl auf Zeit. Wir brauchen dringend neue Gesetze.
Wie müssen die aussehen?
Wodarg: Den Kassenärzten wird von zwei Seiten etwas anvertraut: Einmal sind es die Beiträge und Steuergelder in Milliardenumfang, zum anderen wird ihnen die Gesundheit der Patienten anvertraut. Ich bin der Meinung, dass Ärzte im Hinblick auf ihre Funktion als Treuhänder öffentlicher Gelder bei Bestechung als "Amtsträger" strafbar sein müssen. Sie schreiben krank und bestimmen damit, wer Krankengeld bekommt. Sie verordnen ein Rheumamittel für 26EUR000 Euro im Jahr. Oder sie weisen ins Krankenhaus ein. Hierbei geht es um öffentliche Gelder, und deshalb muss dies in einem Gesetz festgeschrieben werden und damit durch das Strafgesetzbuch sanktionierbar werden. Das muss aber getrennt werden von den Aufgaben, die der Arzt selbst für den Patienten unternimmt, also etwa die Untersuchung und Beratung. Diese beiden Bereiche kann man durchaus unterscheiden und das muss im Rahmen der Gesetzgebung geleistet werden. Der Bundesgerichtshof hat etwas Wesentliches offenbar nicht bedacht und in seinem Urteil auch nicht erwähnt: Solange der Arzt kein Amtsträger ist, können ihn auch seine Patienten straflos bestechen, ihm zum Beispiel 100 Euro geben und sagen: "Verschreiben Sie mir mal eine gute Rehabilitation". Das ist gegenwärtig nicht als Korruption strafbar. Diese Perspektive wird überhaupt nicht diskutiert. Es geht nicht nur um die Pharmaindustrie.
Die Pharmaindustrie hat für 2016 einen "Transparenz-Kodex" angekündigt. Die Offenlegung der Zuwendungen soll aber das Einverständnis des einzelnen Arztes voraussetzen. Ist ein solcher Kodex nicht nur ein Placebo?
Wodarg: Das sind zahnlose Maßnahmen, die wir häufig beobachten können, wenn zu erwarten ist, dass der Staat etwas regelt. Und damit argumentieren Industrie-Lobbyisten dann in der politischen Debatte. Sie behaupten: Das ist doch gar nicht nötig, Sie überreglementieren, Sie schaden der Wirtschaft, die passt ja schon auf sich selbst auf. Das sind Placebos, ja.
Begünstigen die Arbeits- und Einkommensbedingungen mancher Landärzte die Empfänglichkeit für Gefälligkeiten seitens der Pharmabranche?
Wodarg: Nein, man kann nicht davon ausgehen, dass niedergelassene Ärzte so wenig Geld verdienen, dass sie verhungern würden, wenn sie keine Bestechungsgelder annehmen. Ich möchte aber betonen, dass das Gros unserer Hausärzte nicht korrupt ist. Es gibt schwarze Schafe und das ist ein ernsthaftes Problem. Die Anwendungsbeobachtungen, bei denen viele Ärzte mitmachen, sind ja leider eine legalisierte Bestechung. Die Pharmafirmen zahlen Ärzten zum Teil mehrere Hundert Euro pro Patient, wenn diese bei der Verschreibung ihrer Medikamente einige Daten für sie dokumentieren. Diese Aktionen --- pro Jahr werden etwa 200 gemeldet --- sind wissenschaftlich unbrauchbar. So sollen zum Beispiel drei Ärzte je 35 ihrer Patienten bei der Einnahme von "Klosterfrau Melissengeist" beobachten, oder 600 Ärzte je drei ihrer Patienten mit einem sehr teuren Schmerzpflaster für jeweils ein Extrahonorar pro Patient von 75 Euro. Was da zu beobachten ist, das hat mit Medizin nichts zu tun. Dem Ärzteblatt nach wird durch Anwendungsbeobachtungen aber etwa ein Fünftel des Umsatzes der Pharmabranche ausgelöst. Besonders oft wird nämlich auch die Verordnung extrem teurer Medikamente so begünstigt. Da gibt es dann Sonderhonorare von bis zu 2000 Euro pro Patient.
Wie kann der Patient sicherstellen oder prüfen, ob er die für ihn richtige Behandlung oder das beste Medikament bekommt?
Wodarg: Man kann seinen Arzt fragen, ob er Geld oder andere Vorteile für seine Verordnungen von Firmen bekommt.
Und wenn das der Fall ist?
Wodarg: Dann kann man dem Arzt sagen, dass man kein Versuchskaninchen sein möchte. Die Ärzte haben ja häufig auch den Eindruck, dass ein Medikament gut ist. Wenn man Ärzte fragt, ob sie möglicherweise verführbar wären, wenn man ihnen Geld dafür böte, ein anderes Medikament zu verordnen als jenes, das sie normalerweise verschreiben würden, dann sagen ungefähr 30 Prozent der Ärzte: Ja, das kann ich mir schon vorstellen. 70 Prozent der Ärzte sagen: Nein, das mache ich nicht. Fragt man aber, was Ärzte von ihren Kollegen glauben, sind die Zahlen genau umgekehrt. Das ist das Ergebnis einer empirischen Studie.
Ist Ihnen selbst als Arzt schon Geld geboten worden? Wodarg: Nein, aber Ärztemuster, Fachbücher oder Kugelschreiber habe ich leider früher auch manchmal angenommen.
Jeder Patient kennt die Vertreter mit ihren dicken Koffern in den Fluren der Praxen. Sind diese "Hausbesuche" überhaupt nötig?
Wodarg: Nein. Das ist reines Marketing. Das hat mit wissenschaftlicher Information, mit Fortbildung nichts zu tun. Die Vertreter sind geschult, den Ärzten vorzugaukeln, dass es nützlich wäre, mit ihnen zu sprechen, aber das ist nicht der Fall. Deshalb gibt es inzwischen ein Netzwerk von Ärzten, die MEZIS ("Mein Essen zahl ich selbst") und auch gute, unabhängige Zeitschriften.
Darf man als Patient überhaupt darauf vertrauen, beim Arzt stets die bestmögliche medizinische Behandlung zu erhalten oder müssen wir uns einfach damit abfinden, dass das Gesundheitssystem auch nach ökonomischen Gesichtspunkten organisiert ist und sein muss?
Wodarg: Damit sollen wir uns nicht abfinden, doch die derzeitige Diskussion lenkt von wichtigen Zusammenhängen ab. Alle hacken jetzt auf den Ärzten rum. Diese Initiative kommt ja von den gesetzlichen Krankenkassen. Aber deren Handeln wird auch zunehmend von wirtschaftlichen Interessen geprägt. Ihre öffentlichen Aufgaben erfüllen sie nur dann gern, wenn sich das im Wettbewerb mit den Konkurrenten rechnet. Durch Rabatt- und Versorgungsverträge sind die Kassen direkte Partner der Gesundheitsindustrie geworden. Die Kassen verhandeln im Wettbewerb untereinander jeweils mit der Pharmaindustrie und großen Krankenhauskonzernen. Das Ganze ist geheim und läuft wie im Wirtschaftsbetrieb. Die Kassen und Konzerne treffen sich auf Kongressen, und man kann schon an der Höhe der Kongressgebühren - die liegen bei 2000 Euro - ablesen, dass Öffentlichkeit nicht erwünscht ist. Wenn die Kassen mit dem Finger auf korrupte Ärzte zeigen, dann zeigen die übrigen Finger auf Intransparenz und Interessenkonflikte in ihren eigenen Häusern. Die Diskussion um Korruption im Gesundheitswesen hat erst begonnen.
Das Gespräch führte Klaus Bohlmann
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